Als im Jahr 1917 die Bolschewiki die politische Macht in Russland übernahmen, stand für viele Künstler:innen schnell die Entscheidung fest, das Land zu verlassen. So auch für Sergej Prokofjew: Schon im Jahr darauf zog er in die USA, wenig später dann nach Paris. Allen dortigen Erfolgen zum Trotz wurde sein Heimweh mit der Zeit zur persönlichen Belastung. Eine Zeitlang pendelte Prokofjew zwischen Paris und Moskau. Es mehrten sich für ihn die Anzeichen, dass er in der Sowjetunion selbst unter der staatlich verordneten Kunstdoktrin des sogenannten sozialistischen Realismus würde befriedigend seinem Schaffen nachgehen können. Ausschlaggebend war dabei ein großes Projekt: das Ballett "Romeo und Julia".
Im Dezember 1934 reiste Prokofjew ins damalige Leningrad, um am Kirow-Theater – dem heutigen Mariinsky-Theater – über eine abendfüllende Ballettmusik zu verhandeln. Mehrere Stoffe wurden ihm vorgeschlagen: "Pelléas et Mélisande", "Tristan und Isolde" und eben "Romeo und Julia". Prokofjew erinnert sich: "Ich 'verbiss' mich direkt in die letzte Handlung, eine bessere wäre wohl kaum zu finden gewesen!" Weniger selbstbewusste Komponist:innen hätten wohl vor der Herausforderung zurückgeschreckt, sich an die vielleicht berühmteste Liebesgeschichte der Weltliteratur heranzuwagen. Nicht so Prokofjew. Und es gelang ihm das seltene Kunststück, Shakespeares Drama ebenbürtig in eine andere Kunstform zu überführen. Prokofjews "Romeo und Julia" gilt nach einem kurzen anfänglichen Misserfolg heute als eines der besten Ballette überhaupt. Das hängt ganz klar mit der Qualität der Musik zusammen. Nicht nur Ballettliebhaber, auch das Konzertpublikum konnte davon kaum genug bekommen – einerseits von den zartschmelzenden Melodien und andererseits von den dynamischen Tänzen, teils aberwitzig virtuos, teils mitreißend durch ihre kraftvollen Rhythmen. Der Erfolg spiegelt sich unter anderem darin, dass Prokofjew aus dem Ballett ganze drei eigenständige Orchester-Suiten für den Konzertsaal zusammengestellt hat. Im heutigen Konzert erklingt eine knapp einstündige Essenz daraus vom Dirigenten des Abends, Krzysztof Urbański.