Was macht ein Musikwerk aus? Ist es die Einheitlichkeit seines Stils und seiner Idee, die Person eines Autors oder einer Autorin? Oder lassen sich auch ganz andere Kriterien denken, welche die Vielfalt unserer heutigen Musikkultur abbilden?
Ein Konzert für Violoncello und Orchester, dessen drei Sätze von drei Komponisten komponiert wurde, die aus den USA, Europa und Ostasien stammen – diese ungewöhnliche Idee erinnert daran, dass es in der Musikgeschichte schon immer Versuche gab, ein Werk nicht in Alleinverantwortung, sondern als Gemeinschaftsarbeit zu schaffen. Die Gründe dafür waren nicht nur pragmatischer Natur wie bei der "Pasticcio"-Oper der Barockzeit, bei der mehrere Komponisten am gleichen Textbuch komponierten, um möglichst schnell ein Werk auf die Bühne zu bringen. Die Koproduktion kann auch ein Zeichen von freundschaftlicher Verbundenheit sein wie in der sogenannten "FAE-Sonate", für die Johannes Brahms, Robert Schumann und Albert Dietrich jeweils Sätze beisteuerten, oder das tönende Manifest einer Musikergruppe wie im Fall des Balletts "Les mariés de la Tour Eiffel", an dem sich die Mitglieder der französischen "Groupe des Six" beteiligten.
Transkontinentale Musik
Der Eröffnungssatz stammt von Nico Muhly, der 1981 in Vermont geboren wurde, an der New Yorker Juilliard School bei John Corigliano und Christopher Rouse studierte, als Mitarbeiter von Philip Glass bekannt wurde und heute in vielen Genres bis hin zur Oper und Filmmusik arbeitet. "Cello Cycles" hat Muhly seinen Beitrag zum Cellokonzert überschrieben – ein Hinweis darauf, dass sich der neunminütige Satz in wiederholten Kreisbahnen bewegt, in denen eine Akkordfolge auf unterschiedliche Art variiert wird. Wie aus einer Konfettikanone explodiert am Beginn der Klang, im Orchester rieseln die Tonsplitter nieder, während das Cello unter Hochdruck spielt. Im Laufe des Satzes wechseln die Stimmungen, doch immer ist der Solist die stabile Achse, um die herum sich Klänge und Gesten verändern.
Ort der Uraufführung: Der Dresdner Kulturpalast
Wie Nico Muhly ist der aus Eisenhüttenstadt stammende und in Dresden ausgebildete Sven Helbig ein Wanderer zwischen den musikalischen Welten. Für die "Pet Shop Boys" und "Rammstein" hat er ebenso komponiert wie für den Opernsänger René Pape, ein Orchester für neue Musik geht auf seine Initiative zurück, für die Smartphone-Generation hat er kurze "Pocket Symphonies" erdacht. In seiner "Aria" für Cello und Orchester gibt sich Helbig dagegen ganz klassisch, knüpft beim elegischen Ton von Tschaikowskys langsamen Sätzen an und steigert den dunklen Ausdruck am Ende zu großen tragischen Gesten des Solisten, in die das volle Orchester gnadenlos hineinhämmert.
Für das Finale schließlich wurde Zhou Long ausersehen: 1953 in Peking geboren, ein Opfer von Maos Kulturrevolution und Student der legendären ersten Generation chinesischer Musikabsolvent*innen am wiedereröffneten Zentralkonservatorium. Obwohl Zhou seit 1985 in den USA lebt und amerikanischer Staatsbürger ist, ist die chinesische Kultur ein Hauptthema seiner Musik geblieben. Seine Oper "Madame White Snake" (2011, ausgezeichnet mit dem Pulitzer-Preis für Musik) verwendet einen alten Stoff der Pekingoper; Orchesterwerke wie die "Poems from Tang" (1996) wurden inspiriert von Gedichten der Tang-Dynastie im 8. Jahrhundert. Hier knüpft auch der dritte Satz des Cellokonzerts an, der ein Gedicht des Tang-Poeten Du Fu aufgreift, in dem sich acht betrunkene Dichter ("tipsy poets") immer mehr einem heiligen und zügellosen Rausch hingeben. Entsprechend ist der Satz als Scherzo angelegt, in dem es ebenso hemmungslos zugeht und immer wieder chinesische Skalen und Techniken der Volksmusik anklingen. Vor allem die 5000 Jahre alte Zither Guqin und ihre Musik durchziehen diesen turbulenten Schlusssatz.