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Werkeinführung: André Jolivet - Konzert für Fagott, Streichorchester, Harfe und Klavier

Von Volker Tarnow

André Jolivet gehörte nach 1945 zu den originellsten, vielseitigsten und meistgespielten französischen Gegenwartskomponisten. Die Erfolgskurve brach 1958 radikal ein, als ihn Pierre Boulez zum Repräsentanten der gaullistischen Kulturpolitik erklärte und sich über seine "Fetisch-Ästhetik" lustig machte, die um Begriffe wie Mensch, Heiligkeit, Magie und Kosmos kreiste. Tatsächlich hatte Jolivet in den 1930er Jahren mehrmals, darunter auch in seinem Hauptwerk "Cinq danses rituelles", das prähistorische humane Erbe beschworen, ausgehend von der Erkenntnis, dass es keine fundamentale Differenz zwischen dem angeblich primitiven und dem modernen Menschen gebe.

In den Jahren zuvor war er durch atonale Werke aufgefallen, und erst nach 1945 wandte er sich dem Neoklassizismus zu. Seine größtenteils in diesem Stil geschriebenen 13 Solokonzerte haben die Verleumdungskampagne noch am besten überstanden. Das 1954 geschaffene Konzert für Fagott, Streichorchester, Harfe und Klavier ist sogar ein herausragender Beitrag zu dieser – freilich recht stiefväterlich behandelten – Gattung im 20. Jahrhundert. Solist*innen lieben es wegen der herrlichen, im französischen Idiom gehaltenen Melodien und der geradezu akrobatischen Schwierigkeiten. Die Form erinnert eher an die barocke Kirchensonate als an ein Konzert: zwei Sätze, jeweils aus einem getragenen und einem zügigen Teil bestehend. Das einleitende "Recitativo" entwickelt sich aus einer dunklen, nachdenklichen Figur der Streicher und kulminiert in aufgeregten Deklamationen des Fagotts. Im nahtlos anschließenden "Allegro Gioviale" präsentiert das Klavier ein Thema, dem attestiert wurde, es klinge "quasi Bach e poco jazzy". Die Streicher und das Fagott verwickeln es in einen kauzigen, streckenweise undurchsichtig werdenden Dialog, der nicht immer so "gioviale", also liebenswürdig wirkt wie in der Satzbezeichnung angegeben. Durchgehend in Moll gehalten, sorgt dann das "Largo Cantabile", auch dank berückender Einwürfe der Harfe, für den erholsamen Kontrast, kontemplativ und fast ländlich getönt. Schließlich ein "Fugato", das trotz seiner kontrapunktischen Artistik wenig lehrbuchmäßig daherkommt, sondern in aufgekratzter Laune ein explosives Ende ansteuert.