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Tan Dun

Werkeinführung: Tan Dun - Concerto for Orchestra (from Marco Polo)

Von Anja Renczikowski

Der Komponist John Cage kommentierte einmal die Musik seines Kollegen Tan Dun mit den Worten, in ihr werde "offensichtlich, dass der Klang eine Stimme der Natur ist, in der wir leben und der wir lange nicht zugehört haben". Eine schöne Umschreibung für die Naturverbundenheit des chinesischen Komponisten, der im Süden Chinas auf dem Land aufgewachsen ist. Volkslieder der Frauen, die im Fluss ihre Wäsche säubern, oder die Klänge der Dorfschamanen, die ihre Rituale musikalisch mit Steinen und Wasser begleiten, leben in seiner Musik wieder auf.

Ähnlich wie der sechs Jahre jüngere Qigang Chen konnte auch Tan Dun seine musikalischen Neigungen zunächst nicht ausleben; er musste infolge der Kulturrevolution ab 1974 als Reisbauer arbeiten. In der Kommune der Bauern lernte er, traditionelle chinesische Streichinstrumente zu spielen. Erst später durfte er zunächst in Peking studieren und dann als Doktorand in die USA gehen. In New York erhielt er Mitte der 1980er Jahre maßgebliche Impulse von den Komponisten Tōru Takemitsu, Hans Werner Henze, John Cage und Philip Glass. Auch Dun verbindet moderne klassische Stilmittel mit der asiatischen Musiktradition. Einem breiteren Publikum wurde er bekannt durch seine oscarprämierte Filmmusik zu "Tiger and Dragon" aus dem Jahr 2000.

Das "Concerto for Orchestra" aus dem Jahr 2012 basiert auf Duns Oper "Marco Polo" von 1993/94. "Marco Polo hat verschiedene Reisen unternommen", so der Komponist. "Eine geografische, eine musikalische und eine spirituelle Reise." Im ersten Satz, "Book of Timespace" (Buch des Zeitraums), unternimmt er eine Reise durch Zeit und Raum: Bläser und Streicher pendeln vor und zurück wie die "tropfende Tusche auf einer Kalligrafie". In "Scent of Bazaar" (Duft eines Basars) begibt sich Tan Dun auf einen Markt, wo die Klänge die intensiven Düfte, Gewürze und Aromen versprühen. Auf indische Musik geht "Raga of Desert" (Raga der Wüste) zurück. Streicher und Blasinstrumente imitieren darin eine Sitar, eine dreisaitige Langhalslaute. Im letzten Satz, "Forbidden City", erreicht Marco Polo die Verbotene Stadt. "Für mich hat die 'Verbotene Stadt' viele Bedeutungen: sie ist nicht 'verboten', sie hat keine Hindernisse, aber zeigt ihren Ursprung, ihren Wandel und ihr Mysterium. Wandel ist zyklisch und wir müssen immer wieder zurückkehren."