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Ernst von Dohnányi

Werkeinführung: Ernst von Dohnányi - Serenade C-Dur für Streichtrio op. 10

Von Tilla Clüsserath

Ernst von Dohnányi geniesst gewiss nicht die ihm gebührende Bekanntheit. Als Zeitgenosse von Béla Bartók und Zoltán Kodály gehörte er zu den führenden Musikern Österreich-Ungarns um die Jahrhundertwende bis in die 1930er-Jahre hinein. Wie Bartók und Kodály studierte der aus Preßburg (heute Bratislava) stammende Dohnányi, dessen frühen Jahre Züge einer Wunderkind-Biografie tragen, an der Budapester Musikakademie Klavier und Komposition. Dort wurde er wie Kodály von Hans Koessler (einem Cousin Max Regers und Brahms-Verehrer) und dem Liszt-Schüler István Thomán unterrichtet. Bald schon machte Dohnányi als Konzertpianist und Komponist von sich reden. Sein erstes Klavierquintett wurde von Brahms persönlich in sein Urlaubsdomizil Bad Ischl bestellt, wo Mitglieder des Boston Symphony Orchestra und Arthur Nikisch am Klavier das Werk uraufführten. "Ich hätte das Stück nicht besser schreiben können", äußerte Brahms dazu und sorgte für eine weitere Premiere im Wiener Musikverein. Nachdem dieses Stück 1895 mehrmals für Aufsehen gesorgt hatte, war die internationale Karriere des damals gerade mal 18-jährigen Ernst von Dohnányi vorgezeichnet. Später gehörte er als Hochschullehrer, Rektor, Leiter des Rundfunks und Kulturpolitiker zu den einflussreichen Persönlichkeiten des ungarischen Musiklebens. 1944 zwang ihn das nationalsozialistische Horthy-Regime in die Emigration. Ohne Ungarn wiedergesehen zu haben, starb er 1960 (wie sein Kollege und Landsmann Béla Bartók) fern der Heimat in New York. Seine Musik wurde Ende der 1990er-Jahre wiederentdeckt.

Ohne Zweifel wurzelt Dohnányis Schaffen im spätromantischen Erbe, Brahms bedeutete ihm viel. 1902, als 25-Jähriger, schrieb Dohnányi seine bis heute bekannteste Komposition: die Serenade für Streichtrio op. 10. Der Bezug auf Beethovens Serenaden ist durchaus gegeben und dennoch klingt hier alles ganz unverbraucht, originell und von feinem Humor durchdrungen. Den Auftritt der Musiker*innen am Anfang einer Freiluftmusik (Serenade) markiert der Beginn des ersten Satzes "Marcia". Kurz darauf übernimmt das Cello mit einem kraftvollen Thema, die anderen Stimmen folgen. Gegensätzliche Dramatik steuert eine klagende Melodie bei. In der Romanze entfaltet sich ein liedhaftes Thema über Pizzicato-Klängen der Bratsche, die das Zupfen einer Gitarre andeutet. Von diesem "Ständchen"-Charakter weg führt ein leidenschaftlich aufflammender Dialog zwischen Violine und Cello im Mittelteil. Für erhöhte Aufmerksamkeit sorgt die Eröffnung des Scherzos: Wie gegen den Strich gebürstet, erscheint das chromatisch geschärfte Thema, das in rascher Abfolge die anderen Stimmen durchläuft. Dohnányi verknüpft Barock mit Klassik, Fugen- mit Sonatenhauptsatzform. In seiner eiligen Geschäftigkeit wirkt der Satz wie ein ironisches Statement auf das Elfenschwirren der Romantik (à la Mendelssohns "Sommernachtstraum") – allerdings in diabolischer Verzerrung. Ein Hauch von Fin de siècle liegt über dem vierten Satz, wenn das Thema in seiner sonderbar modalen Ambiguität vier Variationen durchläuft. Das Finale vereint Agilität und Tempo des dritten mit Motiven aus dem ersten Satz zu einem intensiven Kehraus.