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Komponistin Zosha Di Castri

Werkeinführung: Zosha Di Castri - Pentimento

Von Michael Struck-Schloen

Natürlich steht es jedem Sinfonieorchester gut an, wenn es zu einem runden Geburtstag ein neues Werk aus der Taufe hebt – erst recht dem WDR Sinfonieorchester, bei dem Aufführungen zeitgenössischer Musik von Anfang an zum Programmauftrag gehörten. Umso besser, wenn das Stück von einer Vertreterin der jüngeren Generation kommt: Zosha Di Castri, 1985 in Calgary in der kanadischen Provinz Alberta geboren und heute in New York ansässig, ist in Nordamerika bereits wesentlich bekannter als in Europa – ein Zeichen dafür, dass die Neue-Musik-Szenen diesseits und jenseits des Atlantiks sehr unterschiedlich funktionieren. Von Anfang an hat Di Castri ihre künstlerische Persönlichkeit in ganz verschiedene Richtungen entfaltet. Sie hat für den Tanz und elektronische Medien komponiert, für Kammerensembles und großes Orchester – darunter für die BBC Proms in London das Stück "Long Is the Journey, Short Is the Memory" (2019) zum 50-jährigen Jubiläum der ersten Mondlandung. Daneben hat Zosha Di Castri aber immer auch die Nähe zur Kunst gesucht, hat luftige Klangskulpturen entworfen oder in "Phonobellow" (2015) eine eigens gebaute mächtige Balgenkamera bespielen lassen.

Auf ein Phänomen der bildenden Kunst bezieht sich auch der Titel ihres Orchesterstücks "Pentimento", das vom WDR als Teil der Reihe "Miniaturen der Zeit" in Auftrag gegeben wurde und in diesem Konzert seine Uraufführung erlebt. Im engeren Sinne der Malerei sind Pentimenti Überschreibungen oder Korrekturen von Bildmotiven, die mit moderner Infrarot- und Röntgentechnik wieder sichtbar gemacht werden können und eine Ahnung von den wechselnden Entscheidungen beim Arbeitsprozess geben. In "Pentimento" hat Di Castri den Findungsprozess selbst zum Thema gemacht. "Obwohl es hier musikalische Ideen gibt", schreibt sie, "die mit einer gewissen rituellen Unvermeidlichkeit wiederkehren – etwa das Motiv der kleinen Trommel, das schrille Klarinettenduo oder die Loopfigur, die vom angerissenen Pizzicato der Kontrabässe ausgeht –, gibt es im Formverlauf auch diskrete Verschiebungen und Variationen. Man könnte darin eine Parallele zur Veränderung der Handstellung beim Malen erkennen, zum Wechsel der Perspektive." So ist "Pentimento" am Ende auch ein Nachdenken über die Wiederholung gesellschaftlicher Missstände, die wir alle in letzter Zeit miterleben mussten: "Brutalität der Polizei, Waffengewalt, das Schwanken der Politik zwischen den Extremen und die verheerenden Wellen der Pandemie".