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Anton Bruckner

Werkeinführung: Anton Bruckner - Sinfonie d-Moll "Nullte"

Von Torsten Möller

Anton Bruckners ständiger Wegbegleiter war der Zweifel. Lebenslang arbeitete er seine Werke um. Mal schienen ihm Passagen zu lang, mal genügte die Instrumentation nicht seinen Ansprüchen, mal verunsicherten ihn die Kritiker. Die steten Revisionen hatten Folgen: Welche Fassung einer Sinfonie nun die endgültige sei, beschäftigte nicht wenige Musikforscher:innen. Mit all dem Kramen und Suchen hat jedenfalls auch die eher ungewöhnliche Bezeichnung "nullte" Sinfonie zu tun.

Im Grunde ist die "Nullte" die zweite, zumindest chronologisch gesehen. Da die Forschung lange und fälschlicherweise von den Entstehungsjahren 1863/64 ausgegangen war, stand sie aber vor der 1. Sinfonie von 1866. Erschwerend kam hinzu: Anton Bruckner zog die "Nullte" 1871 zurück, indem er die Partitur mit den Zusätzen "ungiltig", "verworfen", ja gar "ganz nichtig" versah. Erst als alle neun seiner offiziell nummerierten Sinfonien sich etabliert hatten, kam die "Nullte" 1924 komplett zur Aufführung. Man hätte sie umtaufen können, etwa in Sinfonie Nr. 1,5. Aber so ist es halt mit der Tradition. Sie ist zäh – und manchmal unlogisch.

Offen bleibt die Frage, warum Bruckner die Sinfonie nach ungeheuer viel Arbeit einfach vergessen wollte. Eine Erklärung bietet der – Bruckner verunsichernde – Kommentar des Wiener Hofopernkapellmeisters Felix Otto Dessoff. "Ja, wo ist denn das Thema?", soll Dessoff gefragt haben angesichts des nebulösen Beginns, der so gar nicht den damals gängigen Sinfoniekonzeptionen entspricht. Eine andere Erklärung kommt von Wolfram Steinbeck. 1990 konnte der Musikforscher die Lage souveräner überblicken und sprach von der "nullten Fassung" der 1873 datierten ersten Fassung der dritten Sinfonie. Tatsächlich ist es trotz aller Wirren genau so: Statt an der "Nullten" auch wieder herumzuwerkeln, nahm Bruckner manche Ideen auf, um sie in der Dritten weiterzuverfolgen. Selbstzitate oder Selbstreferenzen können schon mal egoman oder arrogant wirken – im Falle Bruckners beruhen sie paradoxerweise auf Unsicherheit. Er war eben nie überzeugt davon, dass er aus seinem Material das Beste herausholte.