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Johannes Brahms

Werkeinführung: Johannes Brahms/Arnold Schönberg - Klavierquartett Nr. 1 g-Moll op. 25 in der Fassung für Orchester

Von Martina Seeber

"Man mag das Originalquartett gar nicht mehr hören, so schön klingt die Bearbeitung." Während der Dirigent Otto Klemperer die Orchesterfassung von Brahms’ Klavierquartett euphorisch feierte, blieb der Bearbeiter Arnold Schönberg bescheiden. Er habe nur den Auftrag erfüllt, "diesen Klang auf das Orchester zu übertragen, und nichts anderes habe ich getan".

Wie beglückt der frühe Wortführer der Avantgarde jedoch über seine gelungene Bearbeitung war, verraten scherzhafte Bemerkungen, mit denen er sie gelegentlich als Brahms’ "Fünfte Sinfonie" ausgab. Dass dem 1861 entstandenen Quartett ein Orchesterwerk gleichsam aus der Rippe geschnitten wurde, ist Otto Klemperer zu verdanken, der 1937 auch die Uraufführung in Los Angeles dirigierte. Der wie Klemperer im Exil lebende Schönberg war ein erfahrener Bearbeiter. Groß besetzte Werke für kammermusikalische Formationen spielbar zu machen oder umgekehrt Kammermusik ins Orchesterrepertoire zu überführen, waren eine nicht zu unterschätzende Einnahmequelle – vor allem, wenn es sich um große Besetzungen handelte, an denen er die Rechte erhielt. Für ihn als Komponisten bedeutete das Bearbeiten jedoch weit mehr als nur bezahlte Fleißarbeit. Es ließ ihn tief eintauchen in die Kunst seiner Vorfahren und Vorbilder, zu denen Brahms immer gezählt hatte. Auf die Frage, warum gerade das ausgedehnte Klavierquartett die Lust auf eine Bearbeitung geweckt hatte, antwortete Schönberg mit einer Aufzählung: "1. Ich mag das Stück. 2. Es wird selten gespielt. 3. Es wird immer sehr schlecht gespielt, weil der Pianist, je besser er ist, desto lauter spielt, und man nichts von den Streichern hört. Ich wollte einmal alles hören, und das habe ich erreicht." Alles und noch viel mehr. Zwar bleibt die musikalische Substanz weitgehend unangetastet, der Raum jedoch, in den Schönberg das Quartett projiziert, hat mit Kammermusikalität nichts mehr zu tun. Indem er die Stimmen auf das Orchester auffächert, entsteht ein Freiraum, in den das Werk hineinwachsen, sich ausbreiten und in dem jede Einzelstimme atmen kann.

"Nicht weiter gehen, als er selbst gegangen wäre"

Gleich im ersten Satz mit dem ungarisch inspirierten Hauptthema, das Schönberg mit dem lakonischen Ausruf "Leider nicht von mir" quittierte, fächert sich das Quartett von den Klarinetten ausgehend über Celli und Hörner auf das gesamte Orchester auf. Wie selbstverständlich verleiht Schönberg dem Quartett sinfonische Größe, allerdings auch mehr Erhabenheit und Eleganz, was den schlichten und volkstümlichen Charakter des Originals bisweilen in den Hintergrund drängt. Auf die beiden langsamen Mittelsätze, ein anmutig tänzerisches Intermezzo und ein melodisch weit ausgreifendes Andante folgt das finale Rondo alla zingarese, das – wie schon der Titel reklamiert – aus der reichen Musikwelt der ungarischen Roma schöpft. Ein stampfender Rhythmus, temperamentvoll aufgeladene, reich verzierte Melodien, volkstümliche Bordunklänge und überraschende Tempoverzögerungen hatten schon dem aus Ungarn stammenden Geiger Joseph Joachim das Zugeständnis entlockt, sein Freund Brahms habe ihm hier auf seinem eigenen Territorium "eine ganz tüchtige Schlappe versetzt". Arnold Schönberg nimmt die Steilvorlage an, jagt die Motive durch das gesamte Orchester, interveniert mit Xylofon sowie Glockenspiel und treibt den wilden Tanz mit Trommeln und Schellen voran. Ob Brahms bei der Arbeit an seinem ersten Klavierquartett jemals an eine Sinfonie dachte, ist nicht überliefert. Arnold Schönberg hat den Versuch unternommen. Mit viel Disziplin und unverkennbarer Lust an der Anverwandlung: "Meine Absichten: Streng im Stil von Brahms zu bleiben und nicht weiter zu gehen, als er selbst gegangen wäre, wenn er heute noch lebte." Daraus zu folgern, dass sich in der "Fünften Sinfonie" kein oder nur wenig "Schönberg" verbirgt, wäre allerdings falsch. Zu weit ist der Weg von der Kammermusik für drei Streicher und Klavier zu den weiträumigen sinfonischen Landschaften der Bearbeitung.