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Alban Berg - Konzert für Violine und Orchester "Dem Andenken eines Engels"

WDR Sinfonieorchester Video 18.01.2022 25:16 Min. Verfügbar bis 30.12.2099 WDR 3

Werkeinführung: Alban Berg - Violinkonzert "Dem Andenken eines Engels"

Von Otto Hagedorn

Alban Berg, Komponist

Wie so oft liegt die Wahrheit in der Mitte – auch in Hinblick auf die vermeintlich strikten Innovationen des Kreises um Arnold Schönberg. Der Meister der Zwölftonmusik selbst bekannte: "Ich lege nicht so sehr Gewicht darauf, ein musikalischer Bauernschreck zu sein, als vielmehr ein natürlicher Fortsetzer richtig verstandener, guter, alter Tradition!" Damit meinte Schönberg vor allem die Struktur der von ihm geschaffenen Musik. Auch sein Meisterschüler Alban Berg sah sich in der Traditionslinie von der Wiener Klassik über Johannes Brahms bis zu Gustav Mahler. An einen Freund schrieb er: "Wir bleiben halt unverbesserliche Romantiker! Auch mein neues Violinkonzert bestätigt es wieder".

Und dieses Violinkonzert ist nicht schlicht eines unter vielen. Es ragt heraus als Solitär: kompositorisch, strukturell, inhaltlich und biografisch. Der Anlass für Berg, es zu schreiben, war zunächst fast prosaisch, die häufig wiederkehrende alte G’schicht: Geldgeber:in erteilt Auftrag – ein Meisterwerk entsteht. Bergs finanzielle Lage im Jahr 1935 war prekär. Denn nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Deutschland war seine Musik dort verboten, Tantiemen blieben aus. Mitten in der Arbeit an seiner Oper "Lulu" erreichte ihn im Februar des Jahres eine Anfrage von Louis Krasner, einem selbstbewussten amerikanischen Geiger Anfang dreißig. Erstklassig in den USA und in Europa ausgebildet, setzte Krasner sich insbesondere für die Avantgarde ein.

Schnell war man sich handelseinig. Berg sollte zum Stichtag 31. Oktober ein Violinkonzert liefern; vertraglich festgelegte Spieldauer: 20 Minuten, Honorar: 1500 US-Dollar. Ein zeitlich knapp geplantes Unterfangen. Zum konzentrierten Arbeiten zog Alban Berg sich zunächst in die Natur zurück, auch dies im Einvernehmen mit der Tradition, wie er an Krasner schrieb – an den Wörthersee, "schräg vis-à-vis von Pörtschach, wo das Violinkonzert von Brahms entstanden ist".

Schnell sprühten die Gedanken und Ideen. Und bald ist klar: nicht drei, sondern zwei Sätze wird das Werk haben, jeweils untergliedert in zwei Teile mit den, so Berg, Grundcharakteren "Frei, Fröhlich, Fromm, Frisch". Alban Berg also – nicht nur Romantiker, auch Filou mit Humor. In dieser angeregten Phase der Disposition schlägt das Schicksal zu: Am 22. April 1935 stirbt die 18-jährige Manon Gropius, eine Tochter von Alma Mahler-Werfel, an den Folgen der Kinderlähmung. Berg mochte diese junge Frau ganz besonders gern und fasst den Entschluss, ihr sein Violinkonzert als Requiem zu widmen. An die trauernde Mutter schreibt er: "Ich will auch brieflich nicht versuchen, dort Worte zu finden, wo die Sprache versagt. Eines Tages mag Dir aus einer Partitur, die dem Andenken eines Engels geweiht sein wird, das erklingen, was ich fühle und wofür ich heute keinen Ausdruck finde".

In wenigen Werken der Musikgeschichte ist die Komposition so subtil, so fragil und so voller empathischer Wärme auf das Schicksal eines geliebten Menschen bezogen wie in Bergs Violinkonzert "Dem Andenken eines Engels". Es ist freilich kein direktes musikalisches Porträt, und doch lässt sich Manons lebensbejahendes Wesen aus den Klängen des ersten Satzes erspüren. Zwischendurch hat Berg das Zitat des Kärntner Volksliedes "A Vögele af’n Zwetschgn-bam" in seine Musik eingewoben. Aus dem zweiten Satz spricht zunächst die Trauer über Manons Tod, die sich schließlich wandelt zu Erlösung und innerem Frieden. Auch hier zieht Berg ein Zitat hinzu, Johann Sebastian Bachs Choral "Es ist genug! So nimm, Herr, meinen Geist" aus der Kantate "O Ewigkeit, du Donnerwort" BWV 60. Darin heißt es: "Es ist genug! Herr, wenn es Dir gefällt, so spanne mich doch aus! Mein Jesus kömmt; nun gute Nacht, o Welt!".

Bereits am 11. August, mehr als zweieinhalb Monate vor dem mit Krasner vereinbarten Termin, beendet Berg die Reinschrift seiner Partitur. Einige Tage später zieht er sich einen Insektenstich zu, der sich entzündet und einen Furunkel hervorruft. Nur acht Monate nach Manons Tod wird der 50-jährige Alban Berg in ein Spital eingeliefert und stirbt an einer Blutvergiftung. Sein Violinkonzert wurde vier Monate später mit Krasner als Solisten uraufgeführt. Ein Rezensent hielt den Moment nach dem Verklingen des Werks fest: "Das Publikum ist gebannt. Hermann Scherchen, der meisterliche Dirigent, nimmt die handgeschriebene Partitur Alban Bergs vom Pult und hält sie der ergriffenen Zuhörerschaft wie ein Messbuch entgegen".

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