Ludwig van Beethovens Oper "Fidelio" ist eine Prophezeiung humanerer Zustände, verwirklicht durch die wunderbare Befreiungstat einer liebenden Frau. Mit seinem Ruf nach Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit wurde das Werk zum Spiegel vor allem deutscher Geschichte und Gegenwart."Am Abend des 3. August 1977 fühlte sich Ernst Bloch sehr schwach, verlangte aber, man solle ihm wieder einmal die Dritte Leonorenouvertüre vorspielen. Das Unvermeidliche wiederholte sich auch diesmal: als das Trompetensignal erklang, begann Ernst Bloch zu weinen; wie stets an dieser Stelle. Dann ließ er sich, der blinde, zweiundneunzigjährige Mann, ins Schlafzimmer führen. Am anderen Morgen ist er rasch gestorben." Ein Werk hat den Philosophen Ernst Bloch – wie sich sein Freund Hans Mayer erinnerte – bis kurz vor seinem Tod begleitet, hat ihm immer wieder die konkrete Utopie bestätigt und die Hoffnung genährt auf die künftige Befreiung des Menschen aus Knechtschaft und Erniedrigung. Das war Ludwig van Beethovens Oper "Fidelio" – ein Werk der Morgenröte und der Prophezeiung humanerer Zustände, verwirklicht durch die wunderbare Befreiungstat einer liebenden Frau.
Nach unserem heutigen Verständnis vom stringent geführten Musikdrama wirkt der "Fidelio" freilich wie schlecht gefügtes Stückwerk. Der Wiener Opernpraktiker Joseph Sonnleithner hatte dazu eine Vorlage des Franzosen Jean Nicolas Bouilly bearbeitet: "Leonore oder Die eheliche Liebe", ein bürgerliches Rührstück mit Zügen der revolutionären "Rettungsoper". Das Signal für den Untergang und die Rettung der Hauptfigur Florestan, der von seinem erbitterten Widersacher Don Pizarro im Kerker festgehalten wird, ist das Trompetensignal, das Ernst Bloch zum Weinen brachte: Indem die Trompete die Ankunft eines Ministers und seiner Untersuchungskommission anzeigt, soll sie dem Bösewicht Pizzarro noch Gelegenheit geben, seinen Feind zu ermorden; andererseits ist sie für Florestans Gattin Leonore das Zeichen zur Rettung ihres Mannes. Die Fanfare wird damit zum zentralen Signal für die revolutionäre Stoßrichtung der Oper – kein Wunder, dass sie für Beethoven schon in der Ouvertüre eine Rolle spielen sollte.
Beethoven als Theaterpraktiker
Während der Komposition seiner Oper mit den wechselnden Titeln "Leonore" (in den Fassungen von 1805 und 1806) beziehungsweise "Fidelio" (in der stark überarbeiteten Version von 1814) legte Beethoven nicht weniger als vier Versuchsanordnungen zum Thema Ouvertüre vor, was Robert Schumann später zur Attacke auf den von der Belcanto-Oper beherrschten Musikmarkt anstachelte: "Dem großen Haufen gilt es gleich, ob Beethoven zu einer Oper vier Ouvertüren schrieb und z. B. Rossini zu vier Opern eine Ouvertüre!" (Tatsächlich hatte Rossini die Ouvertüre zum "Barbier von Sevilla" schon für mindestens zwei frühere Opern benutzt.)
In den chronologisch ersten Ouvertüren – "Leonore II" und "III" genannt – setzt Beethoven das Trompetensignal ins Zentrum; in der etwas später entstandenen Ouvertüre "Leonore I" ist das Signal verschwunden, aber es erklingen noch Melodien aus Florestans Kerker-Arie. Erst die eiligst komponierte "Fidelio"-Ouvertüre für die endgütige Fassung von 1814 verzichtet ganz auf Zitate aus der Oper und verwandelt die Trompetenfanfare in das signalartige Hauptthema, das am Beginn durchs Orchester stürmt. Die Form ist stark gerafft und tatsächlich ein Vorspiel und keine ausufernde "Tondichtung" vor dem Bühnenstück. 1814 hatte sich Beethoven zum Theaterpraktiker gewandelt.