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Ein Porträt des jungen Beethoven

Werkeinführung: Ludwig van Beethoven - "Coriolan"-Ouvertüre op. 62

Von Torsten Möller

"Man hört nur das, was man weiß." Nun ja, mag schon stimmen: Grundsätzlich öffnet sich die Welt eher, wenn man Hintergründe kennt, wenn man etwas auf den Begriff bringen kann. Auf der einen Seite: Beethovens "Coriolan"-Ouvertüre erschließt sich auch ohne viel Vorwissen. Expressiv geht die Musik ganz unmittelbar unter die Haut mit ihrem Tempo, ihren energischen Schlägen, ihren Dissonanzen. Doch im Sog dieser Ouvertüre geschieht Paradoxes, oder anders gesagt: Im Vorwärtsdrang drängt sich auch die Frage auf, was Beethoven hier wohl dachte?

Die Frage klärt sich. Im Schnelldurchlauf und in einer Schaffenszeit von nur zwei Monaten vertont Beethoven die Geschichte des römischen Feldherrn Coriolanus. Im 5. Jahrhundert vor Christus tritt der selbstherrliche Held derart gnadenlos auf, dass die Tribune Roms ihn verbannen. Coriolanus will Rache! Mit den Volskern, einem mittelitalienischen Volksstamm, will er in den Krieg ziehen gegen seine einstige Heimat. Die Römer wissen, dass sie unterlegen sind. Als letzte "Waffe" schicken sie adlige Damen zu Coriolanus, darunter dessen eigene Mutter. Sie erweicht das Herz des Sohnes, dieser jedoch begeht Selbstmord im festen Glauben, seine Ehre verloren zu haben.

Alles erhält nun einen neuen, einen anderen Sinn. Der radikal auftrumpfende Beginn der "Coriolan"-Ouvertüre als Ausdruck eines rabiat männlichen Charakters, eines unruhig-suchenden und getriebenen Helden – auf der anderen Seite die Gegenmacht in Form besänftigend weiblicher Melodien. Beethoven wäre nicht Beethoven, wenn er es bei dieser holzschnittartigen Gegenüberstellung beließe. Zunehmend wirkt es, als gerate die selbstsichere Welt ins Wanken. In der Musik "arbeitet" es wie in Coriolanus. Eine brütende, lastende Stimmung breitet sich subtil aus. Und diesmal mündet sie nicht, wie so oft bei Beethoven, in einem "Durch die Nacht zum Licht". Nein, am Ende steht der Selbstmord, dementsprechend tragische Ausweglosigkeit auch in der Musik: letzte Atemzüge des Helden, also der Celli. Schluss, aus und vorbei.