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Béla Bartók

Werkeinführung: Béla Bartók - Konzert Nr. 1 für Violine und Orchester op. posth.

Von Otto Hagedorn

Einen gewissermaßen umgekehrten Weg zu Dvořák ging Béla Bartók: Während der Böhme sein Streichquartett-Thema durch die ViolinRomanze veredelte, dekonstruierte der Ungar im Nachhinein die Idylle seines 1. Violinkonzerts. Was war geschehen? Im Sommer des Jahres 1907 begibt sich Bartók ins Umland von Budapest – um dort angeblich die Volksmusik zu studieren. Tatsächlich aber ist es die Liebe, die seine Reiselust geweckt hat. Der 26-Jährige ist leidenschaftlich entbrannt für eine junge Geigerin: die 19-jährige Stefi Geyer. Anfangs sieht es für Bartók so aus, als könne er auf Gegenliebe hoffen. Er befindet sich im Gefühlstaumel: "Ich falle von einem Extrem ins andere. Ein Brief von Ihnen, sogar eine Zeile, ein Wort von Ihnen macht mich jubeln, ein anderes bringt mich fast zum Weinen [...]. Was wird am Ende davon sein, und wann. Es ist ein ständiger seelischer Rausch." Kaum auf dem Land angekommen, beginnt Bartók, ein Violinkonzert für Stefi Geyer zu komponieren. Im ersten Satz huldigt er seiner Angebeteten mit einem hörbar idealisierten Porträt. Im zweiten Satz ist der verliebte Heißsporn wohl selbst zu erkennen.

Erstaunlich ist die Form des Konzerts: Es umfasst nicht wie üblich drei, sondern nur zwei Sätze. Deren im Tempo gemäßigter erster verrät durch seinen hymnischen Klangcharakter viel von Bartóks hingebungsvollen Gefühlen. Ein fehlender langsamer Satz wird zusätzlich ausgeglichen durch Inseln der Glückseligkeit im letzten Satz, die vom zwiespältigen Wogen und Tosen zwischen Leidenschaft und Zweifel umspült werden. Und in der Coda deutet der verliebte Komponist das Kinderlied "Der Esel ist ein dummes Tier" an – als Erinnerung an ein gemeinsames Erlebnis mit Stefi Geyer.

Nach dem Hoffen kommt die Ernüchterung: Bartóks Liebe bleibt unerwidert; sein Violinkonzert hält er zeitlebens unter Verschluss. Es wurde erst 1958 uraufgeführt. Aber der Komponist überarbeitete den ersten Satz und veröffentlichte ihn unter dem Titel "Ein Ideal" als Teil seiner "Zwei Porträts" op. 5. Der zweite Satz dieses Orchesterwerks ist überschrieben mit "Ein Zerrbild". Motive aus dem Violinkonzert verarbeitete Bartók darin zu einer beißenden Groteske – dem Spiegel seiner enttäuschten Liebe.