Eigentlich ist so ein runder Geburtstag ja eine schöne Sache. Man wird beglückwünscht und gefeiert, und ab einer gewissen Prominenz und einem würdigen Alter gibt’s vielleicht sogar eine Auszeichnung fürs Lebenswerk. Dmitrij Schostakowitsch allerdings blickte seinem 60. Geburtstag im September 1966 eher missmutig entgegen.
Dmitri Schostakowitsch
Der Jubilar in spe wusste: Die sowjetischen Kulturkommissare würden die Gelegenheit nutzen, große Reden zu schwingen und ihn wieder einmal zum wichtigsten lebenden russischen Komponisten zu erklären, zum Beweis der Überlegenheit der sozialistischen Kunst. Was Schostakowitsch daran besonders ärgerte: Dieselben Apparatschiks, die ihn nun mit oberflächlichen Lobhudeleien überhäuften, hatten ihn früher mindestens ebenso oft bedroht und gedemütigt. Seit sich Stalin persönlich 1936 vernichtend über seine Oper "Lady Macbeth von Mzensk" geäußert und damit eine mediale Hetzkampagne ausgelöst hatte, stand Schostakowitsch unter besonderer Beobachtung, die ihn gut und gerne in den Gulag hätte bringen können. Der Komponist entzog sich dem Druck teils durch platte Huldigungswerke, die der offiziellen Linie folgten, teils durch innere Emigration. In viele Stücke zog er einen doppelten Boden ein, um seine wahren Ansichten zu verschleiern – so gründlich, dass Fachleute bis heute rätseln, was Ernst ist und was Ironie, wo der Spaß aufhört und die grausige Groteske beginnt.
Resignation, Trauer und Abschied
Immerhin, seit Stalins Tod 1953 hatte sich die politische Lage etwas gebessert. Schostakowitsch leistete sich 1966 sogar das kabarettistische Lied "Vorrede zu meinen gesammelten Werken", das aus der Auflistung seiner bis dato gesammelten Titel und Auszeichnungen besteht. Dafür haderte der Komponist nun mit seiner Gesundheit. Anfang des Jahres erlitt er einen Schlaganfall, von dem er sich in einem Sanatorium auf der Halbinsel Krim erholte. Dort vollendete er auch sein zweites Cellokonzert, dessen Uraufführung für die Feier zu seinem 60. Geburtstag angesetzt wurde. Den Solopart übernahm – wie beim Vorgängerwerk – Mstislaw Rostropowitsch, der einst Komposition bei Schostakowitsch studiert hatte, bevor er sich ganz dem Cello verschrieb. Er ahnte vermutlich schon, dass es sich keineswegs um ein gut gelauntes Galastück handeln würde. So erklang zur mutmaßlichen Überraschung der Parteikader ein etwa halbstündiges Werk, das mit seiner Aura von Resignation, Trauer und Abschied typisch für Schostakowitschs Spätstil ist.
Von Beginn an überwiegen dunkle Töne; das Cello wirkt wie ein Winterwanderer, der allein durch die Ruinen seines Lebens schreitet. Immer wieder erklingen Motivfetzen, die an frühere Werke des Komponisten erinnern, ohne direkte Zitate zu sein. Symbolisiert das Xylofon hier Fröhlichkeit oder das Klappern von Knochen? Brutal ist jedenfalls die Solokadenz, in der das Cello immer wieder von dumpfen Schlägen der Trommel unterbrochen wird.
Das Thema des zweiten Satzes beruht auf dem Volkslied "Bubliki" ("Kauft Kringel, warme Kringel") aus Odessa, das Schostakowitsch angeblich "zufällig" in die Partitur geraten ist. Tatsächlich hatte er es bereits 1928 in seiner ersten erhaltenen Oper "Die Nase" verwendet. Dort singt es eine junge Frau, wobei nicht ganz klar ist, ob sie damit Backwerk oder sexuelle Dienstleistungen anpreist; prompt wird sie von einer Gruppe Polizisten vergewaltigt.
Markige Fanfaren und Trommelwirbel kündigen den nahtlosen Übergang ins Finale an. In der Folge scheinen sie das Solocello immer wieder zu heroischen Tönen anstacheln zu wollen, doch es zieht sich lieber in eine verträumte Parallelwelt zurück. Noch einmal erklingt das "Bubliki"-Thema, nun grotesk übersteigert, dann tröpfelt das Konzert leise aus. Sein Komponist hatte den Applaus hörbar nicht mehr nötig.