Die Diskussion flammt immer wieder auf: Haben Jugendliche, die in NRW Abitur machen, dieselben Chancen auf einen guten Schnitt wie etwa in Bayern, Baden-Württemberg oder Hamburg? Ist das Abi in Berlin vergleichbar mit dem in Niedersachsen? Eigentlich sollte das 2017 eingeführte Zentralabitur für Chancengleichheit sorgen. Doch auf der Kultusministerkonferenz, die am Freitag in Berlin zu Ende geht, gab es weiter Diskussionbedarf.
Wie ist der aktuelle Stand beim Abitur?
Seit 2017 gibt es ein bundesweites Zentralabitur: Für die vier Fächer Mathe, Deutsch, Englisch und Französisch sollen alle Bundesländer ihre Aufgaben aus einem gemeinsamen Aufgabenpool ziehen. Die Inhalte werden von der Konferenz der Bildungsminister aller Bundesländer (KMK) drei Jahre im Voraus festgelegt. Für alle weiteren Fächer legen die Bundesländer selber ihre Aufgaben in einem Länderpool fest. Bis auf Rheinland-Pfalz nehmen alle anderen 15 Bundesländer am Zentralabitur teil.
Das Bundesverfassungsgericht hatte die Länder 2017 zu einer höheren Vergleichbarkeit des Abiturs verpflichtet.
Ist das Abi jetzt in allen Bundesländern gleich schwer oder leicht?
Nein. Ungleichheit besteht schon alleine dadurch, dass die einzelnen Bundesländer die Voraussetzungen für die Berechnung der Abitnote selber bestimmen können. Sie sind auch nicht verpflichtet, alle Aufgaben aus dem zentralen Pool zu nehmen. Bislang lag die Pflichtquote bei 50 Prozent. Für alle weiteren Fächer hat ohnehin jedes Land seinen eigenen Themenpool. Und: Die bundesweiten Poolaufgaben für die vier Fächer können von den Lehrern vor Ort auch noch verändert oder angepasst werden.
2019 beispielsweise hatte Hamburg alle Mathe-Aufgaben aus dem bundesweiten Aufgabenpool entnommen, Baden-Württemberg dagegen nur 10 Prozent. Außerdem setzte sich die gesamte Abinote bisher nur zu einem Drittel aus der Abiturprüfung zusammen, während zwei Drittel aus den Noten der Qualifikationsphase zuvor berechnet werden.
In manchen Ländern müssen Abiturienten in der Qualifikationsphase nur 32 Kurse belegen, in anderen 40. In manchen Ländern können Schüler ihre schlechten Kurse streichen, in anderen müssen alle Leistungen in die Wertung mit eingebracht werden. Mündliche Prüfungen werden außerdem von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich gewertet.
Was hat die Kultusministerkonferenz beschlossen?
Auf ihrer Sitzung hat die KMK Veränderungen beschlossen, die die Vergleichbarkeit des Abiturs bundesweit "deutlich erhöht", wie Präsidentin Astrid-Sabine Busse am Freitag auf der Abschlusspressekonferenz sagte. Dazu gehören diese Neuerungen:
- Künftig sollen Schülerinnen und Schüler in der gymnasialen Oberstufe nur noch zwei oder drei Leistungskurse wählen. Bisher waren es je nach Land bis zu vier.
- In den zwei Jahren vor dem Abi sollen Abiturienten einheitlich 40 Kurse belegen, 36 davon sollen für die Abinote zählen. Bislang können das zwischen 32 und 40 sein. Das heißt: Mehr Kurse fließen mit ihren Ergebnissen in die Abinote ein.
- Die Zahl der schriftlichen Prüfungen soll einheitlicher werden: In den Kernfächern Mathe, Deutsch und Englisch oder Französisch muss mindestens eine Klausur pro Halbjahr geschrieben werden, ebenso in den Leistungskursen. Damit kämen die Schulen auf mindestens 40 bis 50 Klausuren in den letzten beiden Schuljahren. Wie viele Klausuren es genau sind, könne man nicht sagen, hieß es auf Nachfrage bei der KMK. Das sei jeweils auch von den Ländern und Schulen abhängig.
- Denn die Länder - und auch einzelne Schulen - sollen weiterhin eigene Gestaltungsspielräume behalten. So können beispielsweise auch mehr Klausuren angesetzt werden. Das sei erklärter Wunsch der Länder gewesen, sagte Ties Rabe, Hamburgs Bildungssenator.
Wann genau die Änderungen greifen sollen, sei nicht festgelegt, sagte Busse. Sie gehe von einem Start ab 2025 aus. Spätestens ab 2027 sollen die neuen Regelungen für alle Länder und Schulen verpflichtend sein. Zum Abitur 2030 sollen sie dann wirksam werden.
Was bedeutet der Beschluss für NRW?
Da gibt es in NRW offenbar noch keinen Plan. Die neue KMK-Vereinbarung biete Nordrhein-Westfalen "vielfältige Handlungsmöglichkeiten", sagte NRW-Schulministerin Dorothee Feller (CDU) am Freitag. Man könne jetzt "Bewährtes bewahren oder auch eine deutliche Weiterentwicklung auf den Weg bringen". Zwischen diesen beiden "Polen" bewege man sich jetzt. Sie habe die schulpolitischen Verbände und Organisationen sowie Vertreterinnen und Vertreter aus Politik und Schulaufsicht zu Gesprächen eingeladen.
Wo liegt NRW bislang im bundesweiten Vergleich?
Im Vergleich der Abinoten aller Bundesländer lag im vergangenen Jahr Thüringen mit einem Schnitt von 2,04 an der Spitze. Den schlechtesten Abischnitt hatte Schleswig-Holstein mit 2,42. NRW lag dabei mit 2,36 etwas unterhalb des Mittelfelds.
Thüringen hatte außerdem die meisten Abiturienten mit einem Abizeugnis zwischen 1,0 und 1,9 (45,4 Prozent), gefolgt von Sachsen (40,4 Prozent), Brandenburg (26,8 Prozent) und Bayern (35,2 Prozent). In NRW erreichten nur 28,3 Prozent die Bestnote. Auch hier schnitt Schleswig-Holstein mit 24 Prozent am schlechtesten ab.
Fakt am Rande: Die Zahl der Einser-Abis ist in NRW in den vergangenen 20 Jahren stark gestiegen - um fast 350 Prozent. Schnitten 2002 von 7.040 Schülerinnen und Schüler mit einer eins vor dem Komma ab, waren es 2021 schon 23.903. Im Jahr 2013 waren es sogar 30.359. Als es 2017 mit dem Zentralabitur losging, lag die Zahl der Einserabis aber schon länger auf hohem Niveau. 2016 schnitten schon 21.156 Schüler mit der Bestnote ab.
Auch bei der Bestnote 1,0 stieg die Zahl der Abiturergebnisse in den vergangenen Jahren stetig an: