Schnellere Asylverfahren, schnellere Abschiebungen, weniger Leistungen für Asylbewerber: Bund und Länder haben sich am Montag auf diverse Maßnahmen geeinigt, um die Migration zu begrenzen. Stunde um Stunde hatten die Ministerpräsidenten und der Bundeskanzler darum gerungen.
Auf dem Tisch lag ein weiterer Vorschlag, den die CDU-geführten Länder mit NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst eingebracht hatten - offenbar unabgesprochen. Die Idee: Nach ihrer Ankunft in Europa sollen Flüchtlinge direkt in Drittstaaten, in Partnerländer außerhalb der EU gebracht werden. Dort sollen die Asylverfahren durchgeführt werden können. Die Bundesregierung hat zugesagt, das sogenannte "Ruanda-Modell" zu prüfen.
Was ist das "Ruanda-Modell"?
Es fußt auf einem Gesetz aus Großbritannien: Die Regierung in London will, dass irregulär eingereiste Menschen ungeachtet ihrer Herkunft und ohne Prüfung ihres Asylantrags festgehalten und so bald wie möglich nach Ruanda abgeschoben werden, wo sie dann auch um Asyl ersuchen können.
Eine Rückkehr nach Großbritannien ist nicht vorgesehen. Mit Ruanda haben die Briten dafür ein entsprechendes Abkommen, das ostafrikanische Land erhält im Gegenzug finanzielle Unterstützung von umgerechnet mehr als 140 Millionen Euro.
NRW-Ministerpräsident Wüst schlägt vor, auf Staaten in Nordafrika zuzugehen, die entlang der Fluchtrouten liegen. Die Geflüchteten sollen dann dahin gebracht werden, "damit dort Verfahren und Schutzgewährung nach rechtstaatlichen Regeln stattfinden", sagte er schon vergangene Woche der "Süddeutschen Zeitung". "Das heißt, die, die keinen Schutzstatus erwarten können, kommen erst gar nicht in unser Land. Dabei müssen wir diese Partnerländer finanziell unterstützen."
Die Idee ist grundsätzlich nicht neu: Bereits im Koalitionsvertrag hatten SPD, Grüne und FDP vereinbart, prüfen zu wollen, ob ein solches Verfahren "in Ausnahmefällen" in Drittstaaten außerhalb der EU möglich ist – unter Wahrung der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention. Aus Kreisen des Bundesinnenministeriums hieß es dazu am Montag, diese Prüfung halte noch an.
Wie soll das umgesetzt werden?
Was passiert mit Geflüchteten, die derzeit schon in Deutschland sind? Eine Regelung bräuchte einen konkreten Stichtag, so der Vorschlag des Migrationsforschers Gerald Knaus. Flüchtlinge sollten ab einem bestimmten Tag in einen sicheren Drittstaat gebracht werden - ähnlich wie beim EU-Türkei-Abkommen oder beim "Ruanda-Modell". In diesen Drittstaaten sollen dann die Asylverfahren stattfinden.
Die Erfahrung zeige, dass das sofort wirke, sagt der Migrationsforscher Gerald Knaus dem ZDF am Montag: "Wenn, wie im Fall des Türkei-Abkommens, Menschen ab März 2016 erwartet, dass sie schnell in die Türkei zurückgeführt werden, dann bricht die Zahl der Flüchtenden, die sich in die Boote setzen, schnell ein."
Deutschland müsse - möglicherweise zusammen mit Griechenland - der Türkei ein Angebot machen, dieses Abkommen wiederzubeleben. Andererseits könne der Bund zusammen mit anderen EU-Ländern Angebote an Drittstaaten wie Ruanda machen. "Das wichtigste Signal eines glaubwürdigen Stichtags sei: "Macht euch ab jetzt nicht mehr auf den Weg. Riskiert nicht euer Leben, bezahlt nicht die Schmuggler, es bringt nichts."
Aus seiner Sicht sei die Auslagerung der Verfahren auch rechtlich vertretbar. "Die Menschenrechtskonvention und die Flüchtlingskonvention sehen vor, dass Menschen nirgendwo unmenschlich behandelt werden dürfen und dass sie Zugang zu einem fairen Asylverfahren haben müssen. Wenn dieses Verfahren in einem Drittstaat zusammen mit humaner Behandlung gewährleistet sind, dann ist das im Einklang mit bestehendem Recht", sagte Knaus im ZDF.
Funktioniert das "Ruanda-Modell" in Großbritannien?
Der erste geplante Abschiebeflug nach Ruanda im Sommer vergangenen Jahres hatte die Justiz auf den Plan gerufen, weil acht Flüchtlinge gegen die Abschiebung geklagt hatten. Per einstweiliger Verfügung untersagte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte den Flug. Der Fall landete im Dezember 2022 vor dem "High Court".
Der befand, grundsätzlich sei das Abkommen mit Ruanda legal und verstoße nicht gegen die Flüchtlingskonvention. Allerdings mahnten die Richter an, dass jeder Einzelfall genau zu prüfen sei. Dies sei bei den Flüchtlingen, die einige Monate zuvor gegen ihre Abschiebung geklagt hatten, nicht geschehen.
Im Juni dieses Jahres ging der Fall dann vor den "Court of Appeal", dem obersten Berufungsgericht. Mit zwei zu eins Richterstimmen wurde entschieden, Asylbewerber nach Ruanda abzuschieben, sei rechtswidrig. Nach Ansicht der Richter könne Ruanda nicht als sicherer Drittstaat angesehen werden. Die Regierung hat dagegen Berufung eingelegt, die Entscheidung des obersten Gerichts steht noch aus. Wann die kommt, ist unklar.
Wie machen es andere EU-Länder?
Als eines der ersten Länder in Europa hat Österreich mit den Briten vor mehreren Tagen ein Kooperationsabkommen gegen "Asylmissbrauch" und für den "Kampf gegen Schlepperkriminalität" unterzeichnet. Die Regierung in Wien strebt demnach die Verlagerung von Asylverfahren in "Drittstaaten außerhalb Europas" nach britischem Vorbild an.
Ziel sei es, Menschen langfristig davon abzuhalten, gefährliche Routen zu nehmen und stattdessen Asylverfahren in Drittstaaten durchzuführen, teilte das Bundesinnenministerium mit. Österreich zeige dabei großes Interesse an der Partnerschaft zwischen Großbritannien und Ruanda.
Auch Dänemark wollte - ähnlich wie die Briten - ein Asylbewerberzentrum in Ruanda aufbauen. Die Pläne sind jedoch erstmal auf Eis gelegt. Stattdessen will sich Dänemark für eine EU-weite Lösung einsetzen, sagte Ausländer- und Integrationsminister Kaare Dybvad Anfang 2023 der Online-Zeitung "Altinget".
Wie geht's weiter?
"Die Bundesregierung wird prüfen, ob die Feststellung des Schutzstatus von Geflüchteten unter Achtung der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischne Menschenrechtskonvention zukünftig auch in Transit- oder Drittstaaten erfolgen kann", hieß es am frühen Dienstagmorgen nach der Ministerpräsidentenkonferenz mit der Bundesregierung. Gleichwohl verwies Olaf Scholz darauf, dass man für Asylverfahren außerhalb Europas erst einmal mindestens ein Partnerland zum Beispiel in Afrika bräuchte.
"Es gibt die ersten Verabredungen und Versuche, das auch rechtssicher hinzukriegen. Das ist etwas, was nicht einfach ist. Das weiß ich auch", sagte NRW-Ministerpräsident Wüst am Dienstagabend dem WDR. Andererseits sei es wichtig, auf das Ziel zu schauen.
Wenn es dann nicht gelinge, müsse man das auch fair anerkennen. "Aber ich bin dankbar, dss wir einig waren und die Bundesregierung gesagt hat: Ja, wir gucken uns das an", sagte Wüst im WDR.
Die Länderchefs von CDU und CSU haben sich zusammen mit dem Grünen-Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann hinter den Vorschlag von Wüst gestellt. Gegenwind kommt aus den SPD-regierten Ländern. Es sei für ihn "schlicht nicht vorstellbar, dass Menschen gegen ihren Willen in ganz andere Weltgegenden verbracht werden", sagte Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil.
Auch die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) sieht das "extrem kritisch". "Da werden Menschen, die eigentlich mit diesem Land gar nichts zu tun haben, von einem Land, das die Flüchtlinge einfach woanders in Verfahren stecken möchte, in dieses Land geschickt", sagte Dreyer am Dienstag in Mainz.
Gleichwohl sei die Prüfung der Bundesregierung, ob Asylverfahren in Drittstaaten abgewickelt werden könnten, richtig. "Für mich sind das schwerpunktmäßig Länder, wo die Flüchtlinge wirklich auch Berührungspunkte dazu haben. Das heißt natürlich nicht nur Europa, sondern auch Drittstaaten um uns herum." Zuvor seien aber noch viele, insbesondere rechtliche Fragen zu klären.
Quellen:
- Nachrichtenagentur dpa
- ZDF-Interview mit Migrationsforscher Gerald Knaus
- Österreichisches Bundesinnenministerium