Verdacht auf Kindesmissbrauch - die Rolle der Jugendämter

Stand: 30.01.2019, 17:50 Uhr

  • Verdacht: schwerer Missbrauch von mehr als 23 Kindern im Kreis Lippe
  • Ermittlungen auch gegen Mitarbeiter von Jugendämtern
  • Hinweis auf Kindeswohlgefährdung blieb folgenlos
  • Experte bemängelt strukturelle Fehler in Jugendämtern

Von Christian Wolf

Nachdem neue Details zum Missbrauchs-Verdacht im Kreis Lippe bekannt geworden sind, rückt die Rolle der Jugendämter in den Fokus. Denn: Der 56-jährige Hauptverdächtige hatte eine Pflegetochter - zuständig war das Jugendamt im Landkreis Hameln-Pyrmont in Niedersachsen. Dort lebte die Mutter.

Bereits Ende 2016 bekam das Jugendamt im Kreis Lippe, wo der Hauptverdächtige lebt, einen Hinweis auf eine Kindeswohlgefährdung wegen Verwahrlosung. Das bestätigte Amtsleiter Karl-Eitel John dem WDR. Zwei Mitarbeiter hätten die Situation überprüft und festgestellt, dass es keine "massive Verwahrlosung" gab, aber eine "latente Kindeswohlgefährdung".

Diese Erkenntnisse seien an das Jugendamt im Landkreis Hameln-Pyrmont in weitergegeben worden. "Wenn wir keine Hinweise mehr erhalten, dann ist für uns erstmal, weil wir nicht zuständig sind, die Sache erledigt", sagte John.

Zuständiges Amt schritt nicht ein

Beim Jugendamt in Niedersachsen sah man keinen Grund einzuschreiten. Die Lage habe sich "nicht so gravierend herausgestellt", sagte eine Sprecherin. Der Mann habe dazu beigetragen, dass sich das Kind positiv entwickelt habe.

Laut der Sprecherin war es der Wunsch der Mutter, dass ihr Kind bei dem Mann auf einem Campingplatz lebte. Es sei geprüft worden, ob er für ein Pflegeverhältnis geeignet war. Alle Kriterien seien erfüllt gewesen. Beim Landkreis Lippe hieß es hingegen, angesichts der Lebensumstände hätte der Mann die Kriterien des Kreises nicht erfüllt - aber man war nicht zuständig.

Angekündigte Besuche

Die Sprecherin aus Niedersachsen wies darauf hin, dass der Mann wöchentlich von der Familienhilfe und "immer mal wieder" vom Jugendamt angekündigt besucht wurde. Dabei seien "keine Auffälligkeiten" festgestellt worden. "Aus unserer Sicht haben die Kollegen ihren Job richtig gemacht." Dennoch ermittelt die Staatsanwaltschaft.

Experte sieht Mängel

Auf grundsätzliche Probleme weist der Vorsitzende der Deutschen Kinderhilfe, Rainer Becker, hin. Jugendämter seien "ausgeblutet und kaputtgespart" worden. Strukturelle Defizite würden Fehler begünstigen.

Ein Problem sei, dass die Mitarbeiter zum Teil für über 100 Fälle zuständig seien. Zudem blieben Stellen unbesetzt, neue Mitarbeiter würden nur unzureichend eingearbeitet. Auch an der Ausstattung mangele es, wenn zum Beispiel Diensthandys fehlten.

Becker verweist auf eine Studie, laut der die Mitarbeiter im Schnitt 65 Prozent mit Dokumentation verbringen - statt sich mit den Betroffenen zu beschäftigen. Er fordert mehr erfahrenes Personal.