Bundeswehr trainiert ukrainische Soldaten: Ist Deutschland schon Kriegspartei?

Stand: 11.05.2022, 20:59 Uhr

In Deutschland hat an diesem Mittwoch die Ausbildung ukrainischer Soldaten an schweren Waffen begonnen. Könnte Russland das als aktiven Eingriff in den Ukraine-Krieg werten?

Laut Bundesverteidigungsministerium sind die ukrainischen Soldaten bereits in der Bundeswehr-Artillerieschule in Idar-Oberstein in Rheinland-Pfalz eingetroffen. Die Ausbildung dauert üblicherweise 40 Tage, könne bei entsprechenden Vorkenntnissen aber auch verkürzt werden. Deutschland will sieben Panzerhaubitzen 2000 an die Ukraine abgeben, die Niederlande liefern weitere fünf der schweren Geschütze.

Ist das Trainingscamp für ukrainische Kämpfer mitten in Deutschland nur ein weiteres Beispiel für Militärhilfe gegen den russischen Aggressor? Oder hat Deutschland damit eine unsichtbare Grenze überschritten? Könnten wir in den Augen Russlands sogar zu einem legitimen Ziel werden?

Genau das befürchten offenbar auch viele WDR-Userinnen und -User. In ihren Kommentaren bei Facebook oder Twitter sorgen sie sich, dass Deutschland durch die aktuelle Militärhilfe ein unkalkulierbares Risiko eingeht: "Warum mischt sich Deutschland ein? So werden wir doch nur zur Kriegspartei", heißt es dort zum Beispiel. Oder: "Mir macht das Ganze Angst." Doch wie ist die Faktenlage? Fragen und Antworten.

Was sagt die Bundesregierung?

Der Bundesregierung zufolge greift Deutschland nicht direkt in den Ukraine-Krieg ein, daran werde sich auch nichts ändern. Im Bundestag erklärte Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) am Mittwoch, nach der UN-Charta sei Krieg niemals rechtmäßig - ausgenommen der Verteidigungskrieg. Russland habe demnach kein Recht, "Deutschland dafür zu beschießen, dass wir der Ukraine etwas liefern, womit sie ihren legitimen Verteidigungskrieg führen kann".

Die Ausbildung ukrainischer Soldaten an schweren Waffen mache Deutschland nicht zur Kriegspartei, betonte Buschmann. Diese Einschätzung werde auch "von extrem namhaften Völkerrechtlern" bestätigt.

Gibt es auch andere Sichtweisen?

Ja, sogar beim Wissenschaftlichen Dienst des Bundestags. In einem Gutachten, das vor dem russischen Einmarsch erstellt wurde, heißt es zwar, dass westliche Waffenlieferungen völkerrechtlich nicht als Kriegseintritt gelten, solange es keine Beteiligung an Kampfhandlungen gebe. Aber: "Wenn neben der Belieferung mit Waffen auch die Einweisung der Konfliktpartei beziehungsweise Ausbildung an solchen Waffen in Rede stünde, würde man den gesicherten Bereich der Nichtkriegsführung verlassen."

Die Ausbildung ukrainischer Soldaten stellt nach dieser Interpretation also möglicherweise einen Graubereich dar, bedeutet aber nicht zwangsläufig völkerrechtlich eine Kriegshandlung. Das Gutachten bezieht sich hier auf ein Interview des Völkerrechtlers Pierre Thielbörger in der "Neuen Züricher Zeitung". Dort hatte der Jurist seine Aussage allerdings stark eingeschränkt: "Auch hier bleibt die Betrachtung des Einzelfalls ausschlaggebend."

Ist die juristische Perspektive überhaupt wichtig?

Einerseits ja, weil die Weltordnung durch das Recht und nicht durch das Recht des Stärkeren geprägt sein sollte. Andererseits kann bezweifelt werden, dass sich Wladimir Putin von völkerrechtlichen Argumenten tief beeindrucken lässt. Das erklärt auch Philipp Dürr, Spezialist für Völker- und Staatsrecht an der Uni Bonn. Russland habe sich mit seinem brutalen Angriffskrieg längst vom Völkerrecht losgesagt, schreibt Dürr in einem Beitrag für "Legal Tribune Online". "Es wäre töricht, anzunehmen, Putin säße mit einem völkerrechtlichen Handbuch im Kreml und würde bei der kleinstmöglichen Überschreitung rechtlicher Regeln zu einer Eskalation des Konflikts gereizt."

Überzeugender ist eine Ansicht, die seit dem Beginn der Kampfhandlungen von hochrangigen deutschen Militärs vertreten wird: Weil ein militärischer Angriff Russlands auf das Bundesgebiet automatisch den NATO-Bündnisfall auslösen würde, wäre der Preis für eine russische Aggression zu hoch. Auch angesichts der eher mageren Erfolge seiner Invasionstruppen in der Ukraine könne sich Russland zurzeit eine weitere Eskalation der Kämpfe nicht leisten.