Sporthallen in NRW werden wieder für Flüchtlinge benötigt

Stand: 20.10.2022, 15:15 Uhr

NRW-Städte und -Kommunen bereiten sich auf die Aufnahme weiterer Flüchtlinge aus der Ukraine vor. Wie schon bei der Flüchtlingskrise 2015 werden Sporthallen zu Unterkünften umfunktioniert.

Der völkerrechtswidrige Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine geht in seinen ersten Winter. Angesichts sinkender Temperaturen und massiver russischer Angriffe auf die Energieversorgung in der Ukraine stellt sich Deutschland auf weitere Flüchtlinge ein.

216.000 ukrainische Flüchtlinge in Nordrhein-Westfalen

Rund eine Million Menschen sind Schätzungen zufolge nach dem Ausbruch des Krieges am 24. Februar bereits aus der Ukraine nach Deutschland geflohen. Christof Sommer, Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes NRW, sagte im Gespräch mit dem WDR, dass allein in NRW 216.000 aufgenommen worden seien. Hinzu kämen 40.000 bis 50.000 Menschen aus anderen Ländern.

"Leider reden wir auch wieder über das Thema Turnhallen." Christof Sommer, Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes NRW
Christof Sommer vom Städte- und Gemeindebund NRW | Bildquelle: StGB NRW

"Das ist die größte Flüchtlingsbewegung seit dem Zweiten Weltkrieg", so Sommer. Das sei eine "andere Dimension" als bei der Flüchtlingskrise 2015. Bei der Unterbringung sei man auf kommunaler Ebene an der Belastungsgrenze angekommen und suche nun nach Notlösungen. Dabei sei auch die Umfunktionierung von Schul-Sporthallen ein Thema.

Einige würden für die Aufnahme von Geflüchteten vorbereitet, und es gebe bereits die ersten Belegungen, sagt Sommer. Der Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes NRW spricht von einer "historischen Krise".

WHO weist auf massiven Bewegungsmangel in Deutschland hin

Eine Krise, in der der Sport, kurz nachdem die Weltgesundheitsorganisation (WHO) auf das alarmierende Ausmaß des Bewegungsmangels in Deutschland gerade unter Jugendlichen hingewiesen hat, erneut mit massiven Einschränkungen rechnen muss - wie schon 2015 und während der Corona-Krise.

In Krefeld etwa sind jetzt zwei Hallen aus dem Sportbetrieb genommen worden, weil man sie für die Aufnahme von Flüchtlingen vorbereiten muss. Es leben rund 4.250 Flüchtlinge in Krefeld - davon 2.660 aus der Ukraine. Das sei "alles auf Kante genäht", erklärt Stadtdirektor Markus Schön.

Städte und Gemeinden bleiben auf "Vorhaltekosten" sitzen

Man habe zwar aktuell noch keine Flüchtlinge, die dort einziehen sollen, müsse aber in den "Standby-Modus" schalten, um für erwartete Flüchtlinge gewappnet zu sein. Dafür habe man zwei Hallen ausgewählt, mit deren Ausfall man so maßvoll wie möglich in Vereins- und Schulsport eingreife. Für Ausfälle wolle man kurzfristig Alternativen anbieten.

Bitter für den Sport: Man hätte auch andere Lösungen gefunden, wenn das Land die "Vorhaltekosten" erstatten würde, worum man laut Schön seit Februar bitte. Dabei gehe es um anfallende Kosten, wenn man eine Unterkunft quasi bezugsfertig anbietet. Zieht dort nie ein Flüchtling ein, würden diese Kosten nicht erstattet.

Sportbund kämpft noch mit Folgen der Pandemie

Das sei ein Grund dafür, dass man auf Sporthallen zurückgreifen müsse, so der Stadtdirektor. Die seien deutlich günstiger als etwa ein Sommerquartier winterfest zu machen. Schön gibt zu bedenken, dass Letzteres mit Blick auf die Energiekrise auch nicht sinnvoll sei.

Alarmiert reagierte man beim Landesportbund: "Das ist für den Sport fatal", sagte Sprecher Frank-Michael Rall am Donnerstag auf WDR-Anfrage. Die Pandemiezeiten hätten Spuren hinterlassen. Erst seit Anfang des Jahres sei Sport wieder "relativ vernünftig" durchführbar, und der LSB steht nach dem Verlust von 166.000 Mitgliedern 2020 mittlerweile bei einem leichten Plus von 17.700 Mitgliedern. "Wir brauchen einen gesicherten Zugang zu Sportstätten", damit dieser "leichte" Aufwärtstrend nicht ausgebremst werde, so Rall.

Eingriff ins Sportangebot ist ein "Eigentor"

Mit Blick auf die WHO-Studie sei ein Eingriff ins Sportangebot ein "Eigentor". In vereinzelten Bereichen sei das zu tolerieren und könne durch den Tausch von Trainingszeiten unter Vereinen kompensiert werden, aber es sei klar: "Das darf nicht flächendeckend zum Standard werden." Diese Forderung habe man in der Politik zuletzt immer wieder mit Nachdruck hinterlegt.

Dass sich die Verantwortlichen der Problematik der Zweckentfremdung von Sportstätten bewusst sind, davon ist Philipp Stempel, Sprecher des Städte- und Gemeindebundes NRW, überzeugt: "Für Kommunen ist das die letzte Option, wenn gar nichts mehr geht." Das sei "keine Lösung aus Bequemlichkeit", so Stempel.

Landesunterkünfte sollen auf 34.000 Plätze aufgestockt werden

Die Probleme auf kommunaler Ebene sind auch im Landesministerium für Flucht und Integration bekannt. Man arbeite mit Hochdruck daran, weitere Unterkünfte zur Verfügung zu stellen: Die Kapazität in Erstaufnahme-Einrichtungen in NRW habe man von 15.000 Plätzen vor Kriegsausbruch "mit Stand 11. Oktober auf 26.000 steigern können und die Voraussetzungen geschaffen, um kurzfristig auf mehr als 34.000 Plätze zu kommen", so eine Sprecherin auf Anfrage.

Der Städte- und Gemeindebund hatte am Mittwoch allerdings 40.000 Landes-Plätze für Geflüchtete gefordert. Sommer wies im WDR-Interview darauf hin, dass es in NRW Ende 2015 inklusive der Notunterkünfte mehr als 70.000 gewesen seien, und nun habe man größere Probleme.

Die bereits genutzten Einrichtungen sind nicht voll. Bei derzeit laut Ministerium noch nicht stark steigenden Flüchtlingzahlen seien die fünf Erstaufnahme-Einrichtungen und 28 Zentralen Unterbringungs-Einrichtungen des Landes am 13. Oktober zu etwa 69 Prozent belegt gewesen.

"Seriöse Prognose zu künftigen Flüchtlingszahlen nicht möglich"

Wenn erste Sporthallen für den Vereins- und/oder Schulsport also geschlossen werden, geht es vor allem darum, vorbereitet zu sein. "Eine seriöse Prognose, wie viele Geflüchtete in den kommenden Monaten bei uns Schutz suchen werden, ist nicht möglich. Dennoch bereitet sich die Landesregierung gerade auch mit Blick auf die jahreszeitlich bedingten Witterungsverhältnisse auf höhere Zugangszahlen vor", so die Ministeriumssprecherin.

Klar sei: "Land, Bund und Kommunen stehen vor großen Herausforderungen. Gleichzeitig stehen wir alle gemeinsam zu unserer humanitären Pflicht, Menschen, die vor Krieg und Leid fliehen, hier bei uns Schutz zu gewähren."