Flüchtlingsgipfel: Bund lässt Finanzierung offen

Stand: 11.10.2022, 17:13 Uhr

Bund, Länder und Kommunen haben sich am Dienstag getroffen, um über die Situation geflüchteter Menschen zu beraten. Mit welcher Summe der Bund sich an den Folgekosten beteiligen will, bleibt unklar.

Welche Ergebnisse hat der Gipfel gebracht?

Die Bundesregierung stellt den Ländern weitere 56 Immobilien mit 4.000 Plätzen zur dauerhaften Unterbringung von Schutzsuchenden zur Verfügung. Das kündigte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) am Dienstag nach dem Treffen mit Vertretern von Ländern und Kommunen in Berlin an. Bislang seien vom Bund bereits mehr als 64.000 Plätze in 300 Immobilien bereitgestellt worden.

Beschlüsse zu Finanzierungsfragen - Städte und Kommunen hatten im Vorfeld des Flüchtlingsgipfels mehr Geld vom Bund gefordert - gab es nicht. Wie sich der Bund finanziell an den Flüchtlingskosten beteiligen will, soll in einer Bund-Länder-Runde Anfang November geklärt werden.

Wieviele Ukrainer sind nach NRW geflüchtet?

Seit Beginn des Angriffskrieges auf die Ukraine sind etwa eine Million Menschen aus der Ukraine nach Deutschland geflüchtet. Gut 200.000 von ihnen kamen nach Nordrhein-Westfalen.

Die Zahl der Flüchtlinge aus der Ukraine ist im Vergleich zum Kriegsbeginn zwar wieder etwas gesunken. Dennoch haben offenbar immer mehr Bundesländer Schwierigkeiten, die Menschen unterzubringen. Zudem funktioniert offenbar die Verteilung nicht. Das liegt auch daran, dass - laut Städte- und Gemeindebund - die "große Zahl der ukrainischen Flüchtlinge" sich auf einige wenige Städte wie Berlin, Hannover oder Dortmund konzentriert.

Prognosen, wie viele Geflüchtete dieses Jahr noch nach Deutschland kommen werden, machte Faeser nicht. Sie sagte: "Wir können nicht absehen, wie Russlands verbrecherischer Angriffskrieg weitergeht."

Kommen aktuell auch Flüchtlinge aus anderen Regionen?

Neben Ukrainern kämen derzeit deutlich mehr Menschen nach Europa, "und das macht mir Sorge", betonte Faeser beim Gipfel mit Ländern und Kommunen. An den EU-Außengrenzen steige der Druck an. "Wir müssen klar für eine Begrenzung sorgen", so die Ministerin. So würden die Grenzkontrollen zu Österreich für ein weiteres halbes Jahr verlängert. Dadurch sollen unerlaubte Einreisen verhindert werden. Auch an der Grenze zu Tschechien würden die Kontrollen verschärft.

Von Jahresbeginn bis September haben nach Angaben des Bundes fast 135.000 Menschen einen Erstantrag auf Asyl gestellt - und damit knapp 35 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Flüchtlinge aus der Ukraine können ohne Visum einreisen und müssen keinen Asylantrag stellen.

Flüchtlinge - wer darf eigentlich noch rein? WDR RheinBlick 14.10.2022 27:54 Min. Verfügbar bis 12.10.2028 WDR Online

Download

Welche Liegenschaften des Bundes werden zur Verfügung gestellt?

Wie ein Sprecher des Innenministeriums gegenüber dem WDR sagte, werden die Länder aktuell darüber informiert, um welche Immobilien es sich handelt und ob welche im jeweiligen Bundesland dabei sind. Die Länder würden dann selbst entscheiden, wie sie diese nutzen. Eine Vorgabe sei, dass diese dann zu 30 Prozent für Geflüchtete verwendet werden. In der Liste gebe es eine Einrichtung für etwa 1.000 Personen aber auch viele kleinere.

Menschen, die nicht privat untergekommen sind, werden zunehmend auch in Notunterkünften der Städte und Länder einquartiert, die eigentlich nicht dafür geeignet sind, wie Zelte oder Container, sagte die Geschäftsführerin des Flüchtlingsrates NRW Birgit Naujoks am Dienstag dem WDR.

Wie werden die Flüchtlinge in Deutschland verteilt?

Das Verteilverfahren bei Flüchtlingen orientiert sich am sogenannten Königsteiner Schlüssel. Er teilt Bundesländer nach Einwohnern und Steueraufkommen auf. Eine festgelegte Aufnahmequote soll eine gerechte Verteilung auf die Bundesländer sicherstellen.

Die höchsten Quoten haben derzeit Nordrhein-Westfalen (21,1 %), Bayern (15,6 %) und Baden-Württemberg (13 %), die niedrigsten Mecklenburg-Vorpommern (2 %), Saarland (1,2%) und Bremen (1 %).

Auch aus der Ukraine geflohene Menschen werden eigentlich gemäß des Verfahrens verteilt, allerdings sei die gleichmäßige Verteilung auf Wunsch einzelner Länder teils unterbrochen, hieß es im Sommer aus dem Bundesinnenministerium.

Am Kölner Hauptbahnhof dient ein Zelt als Anlaufstation für Geflüchtete. | Bildquelle: WDR/picture alliance/dpa/Henning Kaiser

Faeser sprach bei der Unterbringung der Ukraine-Flüchtlinge von einem gemeinsamen Kraftakt von Bund und Ländern. "Dieser humanitäre Kraftakt ist immer schwieriger zu bewältigen, je länger der Krieg dauert", betonte sie. Es sei nicht abzusehen, wie es weitergeht. Bund und Länder hätten verabredet, in einem engen Austausch zu bleiben. Unter anderem soll eine gemeinsame digitale Plattform von Bund, Ländern und Kommunen zur schnelleren Koordinierung bei der Unterbringung von Geflüchteten eingerichtet werden.

Wie reagieren Länder und Kommunen auf den Flüchtlingsgipfel?

Der Vorsitzende der Innenministerkonferenz, der bayerische Innenminister Joachim Herrmann, sagte, die steigenden Zahlen an Asylsuchenden sorgten dafür, dass sich "viele Städten und Gemeinden am Limit fühlen". Zugleich forderte er mehr Geld für die Kommunen vom Bund. Angesichts der hohen Inflation sei klar, dass die Erstattung an die Kommunen höher sein müsse als im vergangenen Jahr. "Alle Kommunen sind von Preissteigerungen betroffen", so Hermann. Dass Faeser kein Scheckbuch zu dem Flüchtlingsgipfel mitbringen würde, sei zu erwarten gewesen.

Der Präsident des Deutschen Landkreistages, Reinhard Sager, erklärte nach dem Treffen: "Feldlager und Turnhallen sind keine Ideallösung." Er begrüßte Faesers Ankündigung für eine Begrenzung der Fluchtzuwanderung über die Balkanroute. Zudem hänge die Entwicklung in der kalten Jahreszeit davon ab, wie gut es gelinge, in der Ukraine winterfeste Unterkünfte zur Verfügung zu stellen, sagte Sager. Deutschland will den Bau solcher Unterkünfte Faeser zufolge unterstützen.

NRW-Kommunalministerin Ina Scharrenbach (CDU) sagte den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland, die Kommunen seien "angesichts der steigenden Zahlen von Flüchtlingen, die Anspruch auf Hartz IV haben, damit überfordert, weiterhin 25 Prozent der Kosten der Unterkunft aufbringen zu müssen". Hier sei kurzfristig eine Übernahme der kompletten Kosten durch den Bund angezeigt. Insbesondere Flüchtlinge aus der Ukraine erhalten in Deutschland keine Asylbewerberleistungen, sondern Hartz IV.

Bergisch Gladbachs Bürgermeister Frank Stein (SPD) forderte im WDR-Hörfunk am Dienstagmorgen ebenfalls finanzielle Hilfen: "Wir machen uns Sorgen, dass - wenn noch mehr Menschen kommen und wir wollen uns ja um sie kümmern - wir einfach nicht in der Lage sein werden, das verantwortungsvoll durchzuführen". Er forderte auch mehr Erstaufnahmeinrichtungen von Bund und Land, die sich dann um die Verteilung der Menschen kümmern. Aktuell gebe es in seiner Stadt 1.300 Kriegsvertriebene aus der Ukraine. Kein Einziger davon aber sei vom Land zugewiesen worden, alle seien von sich aus in Bergisch Gladbach gelandet.

Frank Stein, Bürgermeister von Bergisch Gladbach | Bildquelle: WDR/privat

Schon Ende September hatte Stein mit Kollegen des Rheinisch-Bergischen Kreises einen Brief an Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) geschrieben, um auf die brisante Lage der Kommunen aufmerksam zu machen. Demnach seien die Kapazitätsgrenzen in den Unterkünften und bei den Mitarbeitenden bereits erreicht oder würden in absehbarer Zeit erschöpft sein.

Auch der Essener Oberbürgermeister Thomas Kufen (CDU) hat sich vor dem Treffen im Kölner Stadtanzeiger geäußert. Er ist auch Vorsitzender des Städtetags NRW und spricht damit für die Kommunen im Land. Kufen fordert eine zentrale Erfassung und Unterbringung der Flüchtlinge aus der Ukraine. Es müsse eine Erstaufnahmeinrichtung geben, die speziell auf die Bedürfnisse der Ukrainerinnen und Ukrainer zugeschnitten sei. Als Vorbild nannte er eine Einrichtung in Unna, die in den 1950er Jahren auf Kriegsflüchtlinge aus Osteuropa zugeschnitten war.

Dormagens Bürgermeister Erik Lierenfeld (SPD) wünscht sich vor allem Geld: "Bei uns ist das so aktuell, dass ich für dieses Jahr 4,5 Millionen Euro zu wenig Geld habe - nur aus der Flüchtlingsfinanzierung".

Über dieses Thema berichtet der WDR unter anderem in WDR aktuell um 12.45.