Fast automatisch greift die Hand zum Smartphone. Ohne Nachzudenken wird TikTok geöffnet. Die kurzen unterhaltsamen, lehrreichen und manchmal auch mit Fremdscham aufgeladenen Videos gehören für viele zum Alltag. Am Sonntag läuft eine Frist der US-Regierung aus. Wenn TikTok bis dahin nicht an einen US-Investor verkauft ist, soll es abgeschaltet werden. Was also, wenn der TikTok-Screen in den USA ab Sonntag schwarz bleibt?
Am Freitag bestätigte zumindest der Oberste Gerichtshof der USA das Gesetz, das zum Verbot der App führen würde. TikTok hatte dagegen Klage eingereicht. Ob das Verbot wirklich kommt, steht aber noch nicht fest. Die aktuelle Regierung und auch der künftige Präsident Donald Trump haben signalisiert, dass TikTok einen Aufschub bekommen soll. Immerhin hat die Plattform in den USA 170 Millionen Userinnen und User.
Für viele ist aber anscheinend alleine die Vorstellung, dass TikTok nicht mehr wie gewohnt funktioniert, Grund genug sich nach Alternativen umzuschauen. Hunderttausende wechselten in den letzten Tagen zur App RedNote.
Zuletzt traten der App in nur zwei Tagen 700.000 neue Nutzer bei. Datenforscher von Sensor Tower schätzen, dass die Downloads im Vergleich zu letztem Jahr um bis zu 200 Prozent gestiegen sind. Woher kommt das neue App-Wunderkind?
Was ist RedNote?
Auch RedNote kommt aus China. Dort ist die App unter dem Namen "Xiaohongshu" bekannt – übersetzt heißt der Name "Kleines Rotes Buch". Sie wurde 2013 ins Leben gerufen und hieß zunächst "Hong Kong Shopping Guide". Ziel war es damals, chinesischen Touristen Empfehlungen vorzuschlagen. In den letzten Jahren ist RedNote aber zu einer Art Suchmaschine für seine inzwischen 300 Millionen Nutzer geworden. Es geht um Reisetipps, Anti-Aging-Cremes oder Restaurantempfehlungen. Gleichzeitig können eigene Videos, Bilder oder Texte geteilt werden. Eine Mischung aus TikTok, Instagram und Pinterest.
Dass ausgerechnet RedNote für viele US-Nutzer zu einer TikTok Alternative wird, kommt überraschend. Zum einen sind viele Inhalte auf Mandarin verfasst und die App-Betreiber kommen mit der Übersetzung der Inhalte auf Englisch nicht hinterher, berichtet die Nachrichtenagentur Reuters und beruft sich auf Insider. Zum anderen erfüllt RedNote viele Kriterien, wegen derer TikTok in der Kritik steht.
Wird auch RedNote verboten?
Die US-Regierung befürchtet Spionage und Einflussnahme durch TikTok. Aus diesem Grund wurde im letzten Jahr der "Protecting Americans from Foreign Adversary Controlled Applications Act" ins Leben gerufen. Ein Gesetz also, das die Amerikaner vor der Einflussnahme aus dem Ausland durch Apps schützen soll. Es ist die Grundlage für das verhängte Verbot gegen TikTok.
Je mehr Aufmerksamkeit RedNote in den USA bekommt, desto mehr Kriterien erfüllt die App, um ebenfalls als Risiko bewertet werden zu können. Ein Punkt ist beispielsweise die Grenze von 1 Million aktiver Nutzer im Monat. Diese Grenze hat RedNote bereits überschritten. Mit der Firmenzentrale in Shanghai erfüllt RedNote bereits ein weiteres Kriterium.
Die Nachrichtenseite CBS News zitiert einen US-Beamten mit den Worten: "Das ist die Art von App, der die gleichen Restriktionen wie TikTok auferlegt werden könnte."
Bisher laufen allerdings keine Verfahren.
Wie funktioniert eine TikTok-Sperrung?
Das TikTok-Verbot in den USA ist für die User streng genommen gar kein Verbot. Niemand muss die App deinstallieren. Vielmehr würde den Dienstleistern, die die Infrastruktur bereitstellen, verboten die Inhalte von TikTok zu verbreiten.
Konkret dürfen Google und Apple die App nicht mehr zum Download anbieten, erzählt der Technikjournalist Martin Fehrensen. Die TikTok App kann also nicht mehr neu installiert werden. Außerdem würde dem Unternehmen, das die Video-Server unterhält, verboten die Clips auszuspielen. Wenn jemand also TikTok öffnet, würde nichts mehr angezeigt.
Kann TikTok auch in Europa verboten werden?
In Europa ist die Situation grundlegend anders. Eine rechtliche Möglichkeit, die App zu verbieten, habe man auf Grundlage des Digital Services Act (DSA) in der EU nicht. Dennoch sei der Regulierungsdruck laut Technikjournalist Martin Fehrensen in den letzten Monaten gewachsen.
Er hofft aber, dass sich im Laufe des Jahres die Situation verändert. "Der DSA sieht vor, dass wir endlich mal in die Situation kommen, dass Wissenschaftler dann bewerten können, was in diesen Apps passiert."
Vielleicht lässt sich dann auch beantworten, ob der Spionage-Vorwurf gegen TikTok berechtigt ist.
Unsere Quellen:
- Agentur Reuters
- CBS News
- Interview mit Martin Fehrensen
- Congressional Research Service