"Temu! I'm shopping like a billionaire": Einkaufen wie ein Milliardär - mit diesem Werbespot macht der chinesische Onlinehändler Temu auf sich aufmerksam und gewinnt auch in Deutschland immer mehr Kunden für sich. Und gerade in der Vorweihnachtszeit, wenn man schnell noch ein Geschenk ergattern will, steigen die Umsätze bei den Onlinehändlern stark an. Laut Zahlen des deutschen Einzelhandelsverbandes HDE wird inzwischen ein Viertel des Weihnachtsgeschäfts im Internet erledigt. 2022 erzielte man so Umsätze von 21,2 Milliarden Euro, und die Prognosen für dieses Jahr sehen ähnlich aus.
Dann dürfte auch Temu einen Teil des Kuchens abbekommen. Erst im Frühjahr wurde die Plattform in Deutschland gestartet, doch mit absurd niedrigen Preisen, aufdringlichen Werbekampagnen und Fürsprechern aus der Influencer-Sphäre hat es das chinesische Unternehmen geschafft, hier schnell Fuß zu fassen.
Pomo statt Puma, Calven statt Calvin Klein
Nike-Socken? Knapp daneben
Sneaker für 15 Euro, Smartwatches für 25 Euro. Und dann ist da noch ein Fünferpack Socken von Nike für das unschlagbare Angebot von 3,08 Euro - zumindest, wenn man nicht genau hinschaut. Denn die Socken sind so drapiert und fotografiert, dass man den Schriftzug bei schnellem Hinsehen als "Nike" lesen könnte. Und manche Kunden fallen dann darauf rein und erleben erst beim Auspacken die Überraschung: Statt "Nike" sind ihre Socken von der No-Name-Marke "Make".
Eine Masche, die bei Temu Methode hat. Denn gerade bei Kleidung gibt es sehr viele "No-Names", die in Design, Logo und Name stark an bekannte Marken erinnern. Statt Puma heißt es Pomo, statt drei Streifen hat der Schuh dann vier, der prägnante Nike-Swoosh ist spiegelverkehrt, aus Calvin Klein wird Calven. Und das alles zum Spottpreis.
Zoll und Steuern können fällig werden
Am Ende kann sich das vermeintliche Schnäppchen allerdings zum Bumerang entwickeln. Denn bei Ware aus China werden eigentlich Zollgebühren und Steuern fällig. Derzeit nutzt Temu zwar oft noch eine Lücke im Postgesetz, doch wie lange diese besteht, ist unklar. Zudem gilt diese nur für Waren im Gesamtwert bis 150 Euro. Wer über der Grenze liegt, muss einen ordentlichen Aufschlag zahlen.
Wenn sich die Rechtsabteilung von Adidas meldet...
Dazu kommt: Firmen wie Nike oder Adidas sind verständlicherweise nicht begeistert, wenn ihre Ware mehr oder weniger dreist kopiert wird. Und so kann es durchaus sein, dass in der Weihnachtszeit nicht der Paketbote klingelt, sondern der Zoll sich meldet, der stichprobenweise die Pakete untersucht und gerade bei Post aus China gerne mal genauer hinschaut. "Wir ziehen die Sachen dann im Namen des Originalherstellers aus dem Verkehr", so Jürgen Ahland vom Hauptzollamt Köln gegenüber dem WDR. Die Fake-Ware wird vernichtet, und wer Pech hat, bekommt noch Post von Adidas, Nike & Co. "Schuh weg, Geld weg und vielleicht noch Ärger mit dem Anwalt. Das möchte zu Weihnachten niemand haben", sagt Ahland.
Nun gibt es zwar Unterschiede zwischen eindeutig nachgemachten Fake-Produkten und solchen, die sich nur die Anmutung des Originals geben. Doch wo genau die Grenze verläuft und ob etwa der vierte Streifen den entscheidenden Unterschied zum Original von Adidas macht, ist unklar und immer wieder Gegenstand von juristischen Prozessen.
Qualität der Ware oft minderwertig
Ein Lieferpaket von Temu
Doch selbst wenn es keinen juristischen Ärger gibt: Viel Freude hat man an der Billigware eher selten. Das sagen selbst regelmäßige Temu-Kunden wie Aliah Akyol aus Köln. Sie hat es öfter erlebt, dass sich Nähte bei Schuhen auftrennen, dass bestellte Kleidung Löcher hat oder stark nach Chemikalien riecht. Andere Kunden beschreiben ähnliche Fälle. Oft entspricht die Ware auch nicht der Abbildung im Online-Shop, ist beispielsweise kleiner als in der Anzeige. Und bei elektronischen Geräten sind die Prüfzeichen manchmal sogar gefälscht oder sie fehlen ganz, fand die WDR-"Servicezeit" bei einem Testkauf heraus.
Verbraucherzentrale: "So gut wie keine Beschwerden"
Ist Temu also ein unseriöser Anbieter, von dem man besser die Finger lassen sollte? "Wir haben zumindest bislang so gut wie keine Beschwerden erhalten", sagt Iwona Husemann, Expertin für Verbraucherrecht bei der Verbraucherzentrale NRW. Bei anderen Anbietern wie etwa Wish hätte es diese "massiv" gegeben. Ein Grund für die geringen Beschwerden könnten die sehr käuferfreundlichen Lieferbedingungen sein, vermutet Husemann. Denn Temu bietet zusätzlich zum kostenlosen Versand eine kostenlose Rücksendeoption innerhalb von 90 Tagen an. "Was einem nicht gefällt oder was den eigenen Qualitätsanforderungen nicht entspricht, kann man zurücksenden", so die Expertin.
Nachhaltigkeit spielt keine Rolle
Qualitativ minderwertige Billigprodukte, bei denen man die miesen Arbeitsbedingungen in der Herstellung nur erahnen kann und die tausende Kilometer von China nach Deutschland transportiert werden - und dann wieder zurückgeschickt werden: Von Nachhaltigkeit kann hier keine Rede sein. Am Ende, so Iwona Husemann, liegt es in der Hand der Verbraucher, darüber zu entscheiden, wie erfolgreich Temu auf lange Sicht wird: "Verbraucher sollten mit offenen Augen rangehen und sich selbst fragen, was sie zu diesem Preis erwarten können."