Getötete Luise aus Freudenberg: Was passiert mit Tätern, die nicht strafmündig sind?

Stand: 15.03.2023, 12:34 Uhr

Die zwölfjährige Luise aus NRW ist wohl von zwei gleichaltrigen Mädchen erstochen worden. Was passiert mit den strafunmündigen mutmaßlichen Täterinnen? Und gibt es mehr Straftaten durch Kinder?

Wie konnte das passieren? Viele Menschen nehmen Anteil an dem Schicksal der zwölfjährigen Luise, die von zwei Bekannnten erstochen wurde. Doch strafrechtlich wird Luises Tod wohl keine Folgen haben. Denn die Täterinnen sind erst 12 und 13 Jahre alt - sie sind nicht strafmündig.

Was bedeutet strafunmündig genau?

Wer bei der Begehung einer Tat noch nicht 14 Jahre alt ist, gilt in Deutschland als strafunmündig. Dieser Grundsatz gilt ohne Wenn und Aber - also auch bei grausamen Verbrechen wie Mord. Das bedeutet aber nicht, dass die Tat ohne Konsequenzen bleibt. Die Jugendämter schalten sich ein.

"Es gibt dann zum Beispiel die Möglichkeit, dass die Familien eine Erziehungskontrolle bekommen", sagte Rudolf Egg, Kriminologe und Psychologe aus Wiesbaden, am Mittwoch im WDR. "Dass man einfach zur Tagesordnung übergeht, geht aber natürlich nicht." Weitere Möglichkeiten sind die Unterbringung in einer Pflegefamilie oder einem Heim. Oder in einer psychiatrischen Einrichtung. Im Vordergrund steht aber nicht der Aspekt der Bestrafung, sondern der Erziehung.

Ab dem 14. Geburtstag werden Jugendliche unter bestimmten Voraussetzungen für ihre Taten verantwortlich gemacht. Die Frage ist dann, ob die junge Tatperson schuldfähig ist - das Unrecht der Tat also einsehen kann. Bei Erwachsenen wird diese Fähigkeit vorausgesetzt, bei Jugendlichen im Alter von 14 bis 18 Jahren nicht.

Was geschieht nun mit den Mädchen im Fall Luise?

Das Kreisjugendamt hat die mutmaßlichen Täterinnen in Obhut genommen. Sie werden nun vom Jugendamt betreut und haben Kontakt zu ihren Eltern. Ihre bisherigen Schulen besuchen sie nicht mehr.

Gilt in anderen Ländern ebenfalls Strafmündigkeit ab 14 Jahren?

In den meisten Ländern der Europäischen Union liegt die Grenze zur Strafmündigkeit bei 14 bzw. 15 Jahren. Das teilte der Deutsche Bundestag in einem Bericht mit. In manchen Nationen gilt aber ein schärferer Grundsatz, zum Beispiel:

  • In England können Kinder bereits ab 10 Jahren strafrechtlich verfolgt werden.
  • In Irland gilt diese Altersuntergrenze bei schweren Straftaten wie Mord, Totschlag, Vergewaltigung.
  • In Ungarn können Kinder bei ebensolchen schwere Straftaten ab 12 Jahren verurteilt werden.
  • In den Niederlanden gilt grundsätzlich Strafmündigkeit ab 12.

Sollte man überlegen, das Alter für Strafmündigkeit zu ändern?

Der Gesetzgeber geht davon aus, dass Kinder noch nicht einsehen können, wenn sie etwas Falsches tun - und dass sie ihr Verhalten auch nicht entsprechend steuern können. Diese Reife traut er erst Jugendlichen zu.

Gerd Hamme vom Richterbund in NRW meint, dass man zumindest darüber nachdenken sollte, dies in Frage zu stellen. "Es ist Aufgabe des Gesetzgebers, zu gucken, ob der Entwicklungsstand von Kindern und Jugendlichen heute anders ist als vor 20 Jahren oder noch früher." Dann könnte es Gründe geben, über eine andere Altergrenze nachzudenken.

Wichtig ist aber auch, Hintergründe zu verstehen. Der Psychologe Rudolf Egg meint im WDR, man müsse genau hinschauen. "Ich würde hier spezielle Studien anregen wollen, die klären sollen, was die Hintergründe sind."

Gegen wie viele Kinder wird in Deutschland ermittelt?

Bundesweit gab es 2021 rund 3.500 tatverdächtige Kinder mehr als 30 Jahre zuvor. Das geht aus der Polizeilichen Kriminalstatistik hervor.

  • Demnach wurde 1991 gegen 65.205 Kinder im Alter von höchstens 13 Jahren ermittelt.
  • 2021 waren es 68.725.
  • Aber: Die Zahlen waren zwischenzeitlich wesentlich höher. 1998 und 1999 gab es mehr als 150.000 tatverdächtige Kinder.
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Bei den Delikten gegen das Leben sind die absoluten Zahlen niedrig: 2021 gab es in diesem Bereich bundesweit 19 tatverdächtige Kinder, darunter vier Mädchen. Die Zahlen schwanken jedoch von Jahr zu Jahr stark, in den vergangenen 20 Jahren lagen sie jährlich zwischen vier und 21 Tatverdächtigen. Zur Einordnung: Laut Statistischem Bundesamt lebten in diesem Jahr rund 8,5 Millionen Kinder unter 14 Jahren in Deutschland.

Gegen wie viele Kinder wird in NRW ermittelt?

In NRW stellt das Innenministerium in den beiden vergangenen Jahren einen Anstieg der Zahl tatverdächtiger Kinder fest.

  • Von 2021 auf 2022 stieg die Zahl der tatverdächtigen Kinder um 41 Prozent auf fast 21.000. Der Großteil der Verdächtigen ist männlich und deutsch.
  • Von 2020 auf 2021 hatte es bereits einen Anstieg um 11 Prozent auf 14.851 junge Tatverdächtige gegeben.

Warum werden Kinder straffällig?

Das NRW-Innenministium erläutert in einem Bericht, dass die Kriminalitätsentwicklung bei Kindern in NRW auf viele Faktoren zurückzuführen sein könnte. "Möglicherweise haben die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie - insbesondere die Phasen der Lockdowns (...) - bei den Kindern negative Auswirkungen entfaltet", hieß es.

Erste Studien zeigten, "dass die Pandemie die Lebensqualität und das psychische Wohlbefinden von Kindern verringert und gleichzeitig das Risiko für psychische Auffälligkeiten erhöht" habe. Zusätzlich belasteten Ereignisse wie der Ukraine-Krieg oder die Energie-Krise die psychische Gesundheit. Umso wichtiger seien präventive Angebote.

 "Es ist möglich, dass sich diese multiplen Belastungen in einer Erhöhung der Gewaltbereitschaft von Kindern äußern." NRW-Innenministerium