ThyssenKrupp-Beschäftigte demonstrieren in Essen Lokalzeit Ruhr 23.05.2024 02:37 Min. Verfügbar bis 23.05.2026 WDR Von Uwe Dietz

Trotz Protesten: Thyssenkrupp-Aufsichtsrat stimmt Investoren-Einstieg zu

Stand: 23.05.2024, 20:52 Uhr

Der Aufsichtsrat von Thyssenkrupp hat am Donnerstag dem umstrittenen Einstieg des tschechischen Investors EPCG zugestimmt. Zuvor hatten mehr als 4.500 Stahlarbeiter vor der Unternehmenszentrale in Essen demonstriert.

Von Till Schwachenwalde

Der Aufsichtsrat von Thyssenkrupp hat am Donnerstag dem Einstieg des Energieunternehmens EP Corporate Group in seine Stahlsparte zugestimmt. Zunächst soll die tschechische Holding 20 Prozent des Geschäftszweigs übernehmen - am Ende soll es dann ein Gemeinschaftsunternehmen geben, an dem beide Parteien jeweils 50 Prozent halten.

"Die strategische Partnerschaft mit EPCG ist ein bedeutender Schritt zur Sicherung einer resilienten, kosteneffizienten und klimaschonenden Stahlproduktion von Thyssenkrupp Steel – und damit auch ein wesentlicher Beitrag zur Sicherung der Stahlindustrie in Deutschland", schreibt der Konzern in einer Pressemitteilung.

IG Metall und Betriebsrat entsetzt

Die Gewerkschaft IG Metall reagiert entsetzt: "Bei Thyssenkrupp wurde heute Geschichte geschrieben - und zwar im denkbar schlechtesten Sinne. Mit dem Verkauf der 20 Prozent an EPCG kappen die Anteilseigner um Herrn Russwurm mit den Vorstandsvorsitzenden Herrn Lopez die Leinen zwischen der Thyssenkrupp AG und der Stahl AG. Die dadurch entstehenden Risiken sind nach unserer Überzeugung völlig ungeklärt", wird der zweite Vorsitzende Jürgen Kerner in einer Pressemitteilung zitiert.

Noch deutlicher wird der Gesamtbetriebsratsvorsitzende der Thyssenkrupp Steel Europe AG: "Die Zukunft des größten Stahlproduzenten Deutschlands steht vor unsicheren Zeiten. Lopez handelt unverantwortlich und geht volles Risiko. So etwas hat es bei Thyssenkrupp noch nie gegeben. Jetzt sind wir im Konfliktmodus", schreibt Tekin Nasikkol.

Tausende Mitarbeiter protestieren in Essen

27.000 Beschäftigte sind von dem Einstieg betroffen, so viele Beschäftigte gibt es in der Stahlsparte des Essener Unternehmens. Ein Teil von ihnen ist bereits mehrere Jahrzehnte bei Thyssenkrupp beschäftigt. Fast alle Standorte sind in NRW, alleine 13.000 Menschen arbeiten im Stahlwerk in Duisburg. Seit dem Sommer wurde über den Deal verhandelt - Betriebsrat und Gewerkschaften wussten von dem Abschluss des Verkaufs allerdings nichts.

Vor der Aufsichtsratssitzung hatten deswegen am Mittag mehr als 4.500 Mitarbeiter vor der Unternehmenszentrale demonstriert. Der Platz war rappelvoll: 5.000 Demonstranten hatte die Polizei dort zugelassen - laut Veranstalter waren auch so viele gekommen. Die Polizei schätzte die Zahl auf 4.500 Teilnehmende. Teilweise waren sie in Arbeitskleidung dort, weil sie von der Schicht kamen oder gleich nach der Demo zur Arbeit mussten.

Pfiffe bei Rede von Vorstandschef Lopez

Was der Verkauf der Stahlsparte für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bedeutet, ist noch unklar - ein Kritikpunkt von Gewerkschaft und Beschäftigten. Es gebe von Seiten des Unternehmens nicht genug Informationen über das Vorgehen. Die Mitarbeitenden, das wurde beim Protest deutlich, wollten mit ihren Sorgen ernst genommen und gehört werden. Die Zentrale von Thyssenkrupp sei deutlich abgesichert, heißt es. Offenbar herrscht in der Führungsriege Angst vor eskalierenden Protesten. Einige Vorstandsmitglieder betraten die Zentrale am Donnerstag mit Polizeischutz.

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Thyssenkrupp-Vorstandschef Miguel Lopez verteidigte die Verkaufspläne vor den tausenden Protestierenden. Nach dem geplanten Umbau zu grüner Stahlproduktion werde deutlich mehr Energie benötigt als bisher. EPCG habe viel Erfahrung mit Energie und sei Lopez zufolge genau der richtige Partner. Von den Stahlarbeitern erntete er dafür laute Pfiffe. 

Demonstranten zeigen sich kämpferisch

Protestierende halten Banner mit der Aufschrift "Nur gemeinsam stark" hoch. | Bildquelle: WDR/Till Schwachenwalde

Die Demonstranten schwankten zwischen Angst und Hoffnung. "Wir gehen mit großen Befürchtungen hier rein. Wir versuchen, das Beste draus zu machen. Für die Jungs, für die Zukunft, für die Arbeitsplätze", sagte einer der Demonstranten. Er arbeitet seit 30 Jahren für Thyssenkrupp.

Betriebsratschef, Vorstandsboss und Minister sprechen

Gesamt-Betriebsratschef von Thyssenkrupp-Steel Tekin Nasikkol glaubt die Politik hinter sich und sagte, dass der Betriebsrat und die Beschäftigten an die Zukunft des Stahls glauben und das das auch die Politik tun würde. Die investiert schließlich mehrere Milliarden in den Umbau zu grüner Stahlproduktion.

Arbeitsminister Karl-Josef Laumann sagte am Donnerstag: "Wir wollen, dass NRW Industrieland bleibt." Die Wirtschaft müsse transformiert werden, dafür sei der Stahl wichtig. Der Weg zum grünen Stahl müsse partnerschaftlich entwickelt werden: "Und wenn man etwas partnerschaftlich entwickeln will, dann ist man gut beraten, am Anfang ein paar Sätze auf einen Zettel zu schreiben, die gelten. Und da muss natürlich als Erstes stehen: Keine betriebsbedingten Kündigungen."

Nicht die erste Demo gegen Pläne von Thyssenkrupp

Großer Protest vor der Thyssenkrupp-Hauptverwaltung in Essen | Bildquelle: WDR / Till Schwachenwalde

Vor einem guten Monat hatte Thyssenkrupp bekannt gegeben, dass zunächst ein Teil der Stahlsparte des Unternehmens an die Holding EPCG des tschechischen Milliardärs Daniel Kretinsky verkauft werden soll. Schon damals hatte es Proteste und Demos von Gewerkschaft, Betriebsrat und Beschäftigten gegeben.

Traditionell sieht es bei Thyssenkrupp so aus, dass solche Themen eher einvernehmlich mit den Arbeitnehmervertretern geregelt werden, denn im Unternehmen sind die Gewerkschaften stark vertreten.

"Wir werden von diesen Herren kein Stück weit mehr informiert, als das Gesetz es vorsieht. Dies ist für einen traditionell mitbestimmten Konzern wie den unseren mehr als eine Provokation. Es ist eine kalkulierte Kampfansage." Steel-Gesamtbetriebsratsvorsitzender Tekin Nasikkol

Grundsätzlich sind die Arbeitnehmer nicht gegen den Einstieg eines Investors. Sie verlangen allerdings konkrete Pläne, Konzepte und Standortgarantien.

Angst vor Jobverlust: Tausende Stahlarbeiter protestierten Ende April in Duisburg | Bildquelle: Stephanie Hajdamowicz, WDR

Schon die Kundgebung in Duisburg dürfte Gewerkschaft und Betriebsrat als eine Art Machtdemonstration gedient haben. Eigentlich sollten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nämlich im Duisburger Stadion über die Pläne informiert werden - blieben dann aber aus Protest fern.

Unsere Quellen:

  • Gewerkschaft Verdi
  • Betriebsrat Thyssenkrupp
  • Pressemitteilung Thyssenkriupp
  • WDR-Reporter vor Ort
  • Nachrichtenagentur DPA