Beinahe täglich kommt der Anruf für Thomas Soer von der Jugendhilfe "echt" in Dortmund. Ein Kind muss bei einer Pflegestelle oder einem Wohnprojekt untergebracht werden. Die Gründe: Kindeswohlgefährdung, Missbrauch, Gewalt.
Die Zahl der Fälle steigt seit Jahren an, zuletzt um 4 Prozent auf inzwischen fast 57.000 Fälle im vergangenen Jahr, so hat es das Statistische Bundesamt ermittelt.
Gleichzeitig sinkt die Zahl der Pflegestellen. Thomas Soer: "Wenn ich tagelang nach einem Platz suchen muss, und das inzwischen bundesweit, weil es immer weniger Plätze gibt, dann ist das nicht gut für das Kind. Das System Jugendhilfe kollabiert gerade."
Fachkräfte in Jugendämtern fehlen
Ein Grund ist der Mangel an Fachkräften in den Jugendämtern. Es gibt kaum einen Bereich in den Kommunen, der mehr Verantwortung bedeutet. Die wollen viele Mitarbeiter nicht. Denn Fehler hier können extreme Folgen haben. Etwa dann, wenn Kinder und Jugendliche zu spät aus ihrer gewaltvollen Umgebung heraus geholt werden.
Die Entscheidungen werden schwieriger, die Fälle komplexer, die Suche nach Unterstützung aufwändiger. So beschreiben es nahezu alle Jugendämter an Rhein und Ruhr.
Fälle werden erst später bearbeitet
Folge: Immer häufiger bleiben vermeintlich leichtere Fälle länger liegen. Es ist einfach zu viel. Auch bei den privaten Hilfsorganisation werden Leute gesucht. Die Suche nach neuen Mitarbeitern bleibt oft erfolglos.
Wie beim Kinderschutzbund in Köln. Hier hat das bereits konkrete Folgen, beschreibt der Leiter, Lars Hüttler. "Wir merken auch, dass es immer mehr wird. Wir mussten zum ersten Mal in der 70-jährigen Geschichte des Kinderschutzbundes Köln eine Warteliste einführen. Das ist extrem schwierig für uns und tut weh."
Aber wo sollen neue Mitarbeiter herkommen? Viele junge Menschen haben einfach keinen Bezug mehr zu sozialen Berufen, glaubt der Dortmunder Sozialarbeiter Thomas Soers. "Ich bin ein älterer Mensch, ich kenne noch den Zivil- und Ersatzdienst. Da sind viele junge Leute in Kontakt gekommen mit sozialen Berufen. Dass es das nicht mehr gibt, merken wir bis heute ganz extrem."
Städtetag fordert politische Lösungen
Auch der Deutsche Städtetag sieht das Problem - und fordert Lösungen von der Politik. In einer Stellungnahme an den WDR heißt es:
"Die Arbeitsbelastung der Allgemeinen Sozialen Dienste (ASD) in den Städten steigt seit Jahren dynamisch. Der Beruf fordert die Beschäftigten mental stark. Die Länder müssen die Kommunen deutlich mehr unterstützen: Sie müssen zum Beispiel zusätzliche Studienplätze für sozialpädagogische Studiengänge an den Fachhochschulen schaffen."
Bessere Finanzierung gefordert
Das löst einen Teil des Problems aber erst in ein paar Jahren. Ein anderer Teil ist das Geld. Eine bessere Finanzierung des Systems Jugendhilfe wäre nötig. Der Leiter des Kölner Kinderschutzbundes: "Das Problem ist ja, dass Kinder- und Jugendschutz nicht die Priorität ist. Dass muss sich ändern, denn im Moment lassen wir viel zu viele Menschen mit ihren Sorgen allein."
Sicher ist: Auch morgen werden die Helfer zwischen Köln, Duisburg und Dortmund wieder auf die Suche gehen müssen nach Unterstützung und Unterbringungsmöglichkeiten für Kinder und Jugendliche in Not.