Missbrauchsopfer wollen Druck auf Bistum Aachen erhöhen

Stand: 23.03.2023, 19:05 Uhr

Seit fast einem Jahr arbeitet im Bistum Aachen der Betroffenenrat für die Missbrauchsopfer. Er will ein faires Verfahren zur Entschädigung erreichen. Denn die bisher gebotenen Summen seien lächerlich gering. Am Donnerstag zogen Vertreter des neuen Gremiums eine erste Bilanz.

Von Helga Hermanns

Der Betroffenenrat spricht von 222 bekannten Fällen im gesamten Bistum. Davon seien 98 Fälle von der bundesweit tätigen unabhängigen Kommission Aufarbeitung anerkannt worden. Die von der Bischofskonferenz genehmigten Entschädigungsleistungen seien lächerlich gering, sagte der Betroffenenrat am Donnerstag in Aachen – sie liegen im Durchschnitt bei 21.000 Euro, oft noch darunter. Etwa in einem Fall, bei dem das Opfer als Messdiener vier Jahre lang regelmäßig von einem Priester sexuell missbraucht wurde.

Aktuell schaut der Betroffenenrat auf einen Prozess vor dem Verwaltungsgericht in Köln, wo die Verteidigung für ein Missbrauchsopfer eine hohe sechsstellige Entschädigungssumme fordert. Sollte das Gericht dem stattgeben, wäre das ein bundesweites Signal. Dadurch würde auch mehr Druck auf die Bischofskonferenz entstehen. Und auch durch eine stärkere Vernetzung der Betroffenenräte untereinander könne der Druck verstärkt werden, sagte Manfred Schmitz vom Aachener Betroffenenrat.

Das Aachener Modell als Einzelfall-Lösung

Dem Betroffenenrat für das Aachener Bistum geht es darum, möglichst eine außergerichtliche Lösung zu vereinbaren – das sogenannte Aachener Modell. Dabei würden mit jedem Betroffenen Gespräche geführt und eine Einzelfallentscheidung getroffen. Idealerweise würde das Opfer dann eine einmalige Entschädigung erhalten oder alternativ eine Rentenzahlung.

Manfred Schmitz, Thomas F. und Paul Leidner fordern Entschädigungen für die Missbrauchsopfer | Bildquelle: WDR / Helga Hermanns

Am vergangenen Samstag trafen sich Betroffene mit Bistumsvertretern, darunter auch dem Aachener Bischof Helmut Dieser. Der habe sich offen und verständnisvoll gezeigt, hieß es bei der Pressekonferenz am Donnerstag. Dennoch habe er keine Zusage für das Aachener Modell gegeben. Auch mit dem Hinweis, dass er nicht Vorreiter sein wolle bei einer Entscheidung, die alle deutschen Bistümer betrifft. In Einzelgesprächen mit Betroffenen habe er sich aber offen gezeigt für eine Renten-Lösung.

Dem Betroffenenrat gehören sechs Leute an. Sie wurden von den Missbrauchsopfern im April 2022 gewählt und haben sich seither zehnmal zu langen Arbeitstagen getroffen. Diese seien wegen der vielen Schicksale zum Teil sehr emotional verlaufen, sagte am Donnerstag Paul Leidner, einer der Sprecher des ehrenamtlichen Gremiums. Es arbeitet unabhängig, wird aber vom Bistum zum Teil finanziell oder mit Sachleistungen wie Büroarbeit unterstützt.

Missbrauch auch ein Fall für Berufsgenossenschaften

Der Betroffenenrat Aachen rät Missbrauchsopfern, nicht nur die Entschädigungen des Bistums abzuwarten. Die erlittenen Taten würden von der Verwaltungsberufsgenossenschaft in vielen Fällen auch als Arbeitsunfall anerkannt. Wer beispielsweise als Messdiener oder Chorleiter von einem Priester sexuell missbraucht wurde, könne dafür Zahlungen erhalten – auch in Form einer Rente.