Ein Rechercheteam von NDR und Süddeutscher Zeitung hat über die Vorwürfe gegen Lindemann Ende der vergangenen Woche berichtet: "Wir haben ganz viele Informationen, die das Muster bestätigen", sagt Journalist Daniel Drepper, der auch den Rechercheverbund aus NDR, SZ und WDR leitet.
Die Journalisten hätten mit "mehr als einem guten Dutzend" Frauen persönlich gesprochen, die Vorwürfe gegen Lindemann erheben. Mehrere der Frauen hätten eidesstattliche Versicherungen abgegeben. Trotzdem, so betont Drepper, handele es sich um reine Verdachtsberichterstattung. Es gebe viele Indizien, aber für Rammstein wie Lindemann gelte die Unschuldsvermutung. Aus dem Umfeld der Band hieß es am Montagabend gegenüber dem WDR, dass die Band eine externe Anwaltskanzlei mit der Aufklärung der Vorfälle beauftragt habe.
Was wird Rammstein-Sänger Lindemann vorgeworfen?
Die ersten Vorwürfe sind von einer jungen Irin nach einem Konzert im litauischen Vilnius erhoben worden. Sie sei dort unter Drogen gesetzt worden, weist bei Twitter aber ausdrücklich darauf hin, dass Lindemann akzeptiert habe, dass sie keinen Sex mit ihm wolle. Er habe sie nicht berührt.
Das habe einen Stein ins Rollen gebracht, berichtet Lena Kampf aus dem Rechercheteam Dreppers dem WDR am Montag. Viele Frauen hätten sich daraufhin im Netz mit ähnlichen Vorwürfen gemeldet, denen man nachgegangen sei. So habe man erfahren, dass bei Rammstein- oder Till-Lindemann-Solo-Konzerten gezielt für den Backstage-Bereich rekrutiert worden sein soll. Dort habe es für die jungen Frauen - viele erst Anfang 20 - Alkohol und teilweise Drogen gegeben.
Die jungen Frauen hätten mit Lindemann gefeiert, und "es wurde ihnen teilweise vorher klargemacht, dass es darum geht, auch Sex mit ihm zu haben." In der Spitze gebe es aber einen Grenzbereich, "wo Frauen teilweise das Gefühl hatten, sie können nicht mehr nein sagen".
Zwei Frauen haben laut Rechercheteam von mutmaßlichen sexuellen Handlungen ohne ihre Zustimmung berichtet. Eine Frau sei etwa vor einem Konzert zum Sex mit Lindemann gebracht worden, der für sie sehr "schmerzvoll" gewesen sei. Sie habe nicht ausdrücklich Nein gesagt, bezeichnet den Sex aber mittlerweile als "Übergriff" und "Machtmissbrauch".
Was sagt die Band Rammstein zu den Vorwürfen?
Auf die Vorwürfe der Irin hat die Band entgegnet, dass sie ausschließen könne, "dass sich, was behauptet wird, in unserem Umfeld zugetragen hat. Uns sind keine behördlichen Ermittlungen dazu bekannt."
Am Wochenende teilte die Band zudem mit, es sei ihr wichtig, dass die Fans sich sicher fühlen könnten - "vor und hinter der Bühne". Man verurteile jede Form von Übergriffigkeit. Rammstein bat die Fans, sich nicht an Vorverurteilungen zu beteiligen. Das gelte für jene, die Anschuldigungen erhoben haben genauso wie für die Band selbst.
Das Team um Drepper habe Lindemann und die Band beziehungsweise ihr Management mit den konkreten Vorwürfen aus ihren Recherchen konfrontiert, aber keiner hätte "inhaltlich Stellung bezogen". Aus dem Umfeld der Band Rammstein hieß es am Montag, dass in den nächsten Tagen erste Ergebnisse der Untersuchungen durch die beauftragte Anwaltskanzlei veröffentlicht werden sollen.
Gibt es behördliche Ermittlungen gegen die Band oder Lindemann?
Die Irin, die am Rande des Rammstein-Konzerts unter Drogen gesetzt worden sein soll, hat nach eigenen Angaben eine Aussage bei der litauischen Polizei gemacht. Von daraus resultierenden Ermittlungen ist bislang nichts bekannt.
In Deutschland gibt es nach Kenntnisstand des Rechercheteams keine Ermittlungen gegen Rammstein oder die Band.
Was für Auswirkungen haben die öffentlichen Vorwürfe?
Bis dato liegen nur Indizien vor, die nahelegen, dass die gegen Lindemann und Rammstein erhobenen Vorwürfe stimmen könnten, doch Auswirkungen gibt es bereits. So hat etwa der Kölner Verlag Kiepenheuer & Witsch mit sofortiger Wirkung seine Zusammenarbeit mit dem 60-jährigen Rammstein-Sänger gekündigt.
Dies allerdings mit Hinweis auf ein bereits seit drei Jahren im Internet kursierenden Video zum Lindemann-Song "Till The End", in dem der Sänger in zahlreichen pornografischen Szenen mit jungen Frauen zu sehen ist. Aus Sicht des Verlags "überschreitet Till Lindemann für uns unverrückbare Grenzen im Umgang mit Frauen", heißt es. Zudem hat die Drogeriekette Rossmann nach Bild-Informationen mehrere Rammstein-Parfüms aus ihrem Sortiment entfernt.
Konzerte sind ebenfalls betroffen: So wird es bei den Rammstein-Auftritten in München in dieser Woche nach Informationen des Bayerischen Rundfunks keine Fans in der "Row Zero" geben. So nennt man eine Zone in unmittelbarer Nähe der Bühne, aus der Frauen für die Aftershowpartys der Band rekrutiert worden sein sollen. Die Party sei auch gestrichen.
Aus dem Umfeld der Band hieß es dazu auf WDR-Anfrage, dass es in München sowohl eine "Row Zero" als auch eine Party geben werde. In "Reihe Null" würden aber keine Fans, sondern Familienmitglieder und enge Freunde der Band sein, und eine Party gebe es nur in sehr eingeschränktem Umfang. Außerdem werde in München im Zuschauerraum ein Awareness-Team anwesend sein, dass darauf achte, dass im Publikum alles okay sei.
Über dieses Thema berichten wir im WDR am 05.06.2023 auch im Fernsehen: WDR aktuell 21.45 Uhr.