Kleiner Deckel, großer Ärger: Neuer Plastik-Verschluss ab heute Pflicht

Stand: 03.07.2024, 06:00 Uhr

Der angebundene Deckel an Einweg-Plastik-Flaschen und Getränke-Kartons sorgt für heiße Diskussionen. Ab heute ist er Pflicht. Wie sinnvoll ist er wirklich?

Von Jörn Seidel

"Wer hat das erfunden? Wer???", fragt Comedian Chris Tall in einer seiner Shows, schiebt sich die Öffnung einer Wasserflasche samit Deckel in den Mund und versetzt sein Publikum in schallendes Gelächter. Keine Frage: Nur selten erhitzen EU-Gesetze derart die Gemüter wie jenes, das ab heute in Deutschland verpflichtend ist: Die meisten Einweg-PET-Flaschen und Getränke-Kartons dürfen von nun an nur noch mit verbundenem Deckel verkauft werden.

Angebundener Plastik-Deckel längst auf dem Markt

Die Getränkeindustrie hatte bereits begonnen, den angebundenen Plastik-Deckel (auch bekannt auf Englisch als Tethered Cap) schrittweise in den letzten Jahren einzuführen. Und so hat so ziemlich jeder Mensch in Deutschland schon seine eigenen Erlebnisse damit gemacht und sich wohl Fragen wie diese gestellt:

Ist das ein Produktionsfehler oder soll das Ding da wirklich dranhängen? Wie kann ich aus der Cola-Flasche trinken, ohne dass mir der Deckel im Gesicht rumkratzt? Wie gieße ich die Milch ohne Kleckerei ins Glas? Und vor allem: Was soll das eigentlich?

Ziel: Weniger Plastik-Müll in der Umwelt

Am Strand gefundene Plastikdeckel | Bildquelle: Sus Pons / picture alliance / Westend61

Klar beantworten lässt sich zumindest die letzte Frage. Der angebundene Deckel soll dafür sorgen, dass weniger Plastik-Deckel draußen herumliegen und in der Folge als Plastikmüll die Meere verschmutzen. Zurück geht die Idee auf Müllzählungen. Demnach gehören lose Verschlüsse zusammen mit Plastikflaschen zu den häufigsten Abfallprodukten, die an Stränden zu finden sind, .

Aus diesem Grund nahm die Europäische Union die Tethered Caps in ihre Einwegplastik-Richtlinie auf. Diese hat auch bereits dazu geführt, dass es kein Einweg-Geschirr aus Plastik mehr zu kaufen gibt. Doch während sich viele Menschen damit arrangiert haben, dass sie beim Grillen zu Papptellern, Holzbesteck oder ihrem normalen Geschirr aus dem Schrank greifen müssen, sorgt der kleine Deckel für auffällig großen Ärger.

Deckel bleibt ab heute an der Pet-Flasche WDR Studios NRW 03.07.2024 00:51 Min. Verfügbar bis 03.07.2026 WDR Online

"Totaler Schwachsinn"

"Totaler Schwachsinn", schrieb zum Beispiel Youtube-User @XYZQ763, als WDR aktuell schon einmal über den angebundenen Deckel berichtete. "Wer bitte schmeißt denn die Deckel weg?", fragte @gg86. Und @tobiasillg7639 berichtete von seinem Erlebnis, dass er durch den Deckel, als dieser plötzlich wieder hochschnappte, einen gepolsterten Stuhl mit Kakao bekleckert habe.

User @fabianschulze4835 kritisierte: Das Problem sei, dass nun nicht nur mehr der Deckel im Meer lande, sondern die ganze Flasche. Stattdessen hätte er sich von der EU ein einheitliches Pfandsystem gewünscht.

Philip Heldt, Verbraucherzentrale NRW | Bildquelle: WDR/Philip Heldt

Eine ähnliche Kritik an der Pflicht zum angebundenen Deckel äußert nun auch Umweltexperte Philip Heldt von der Verbraucherzentrale NRW. Das Gesetz sei ein "netter Gedanke, aber da wäre was anderes sinnvoller gewesen", sagt er dem WDR.

"Das eigentliche Ziel, nämlich die Vermüllung der Umwelt zu verhindern, wird damit ja kaum erreicht, denn Flaschen werden ja trotzdem verkauft." Philip Heldt, Verbraucherzentrale NRW

Viel nützlicher für die Umwelt wäre "ein Mehrweggebot für Getränkeflaschen", sagt Heldt. Auch müsse die Gastronomie dazu gebracht werden, dass "mehr Mehrweg-Gefäße als diese ganzen To-go-Verpackungen ausgegeben werden". Außerdem bräuchten Zahnpasta-Tuben keine Umverpackungen. Umdenken müsse man zum Beispiel auch bei Kleidung und Geräten: Ressourcenschonender wäre es, mehr zu leihen, zu reparieren und gebraucht zu kaufen. 

"Die Menge macht es." Eugen Herzog, Nachhaltigkeitsexperte

Trotzdem sei der angebundene Deckel durchaus sinnvoll, sagt Professor Eugen Herzog dem WDR. Er ist Experte für Verpackungstechnologie und Nachhaltigkeit an der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig. 

So ein Plastik-Deckel wiege zwischen 1,85 und 1,9 Gramm, sagt Herzog. Das sei nicht viel, aber bei einer Million Flaschen komme man auf fast zwei Tonnen Plastik. Würden diese dem Recyclingkreislauf zugeführt werden, ließe sich in der Plastik-Produktion viel einsparen. Und das schone nicht nur die Umwelt, sondern auch das Klima.

Eine Frage der Gewohnheit?

Ist am Ende alles nur eine Frage der Gewohnheit? Heiß waren zum Beispiel auch die Diskussionen, als es 1989 an Getränkedosen zu einer Neuerung kam. Statt des Wegwerf-Verschlusses, dem sogenannten Ring-Pull-Öffnungssystem, gab es plötzlich nur noch den sogenannten Stay-on-Tab, ein Aufreißverschluss, der an der Dose bleibt. Den gibt es auch heute noch. Für Diskussionen sorgt er schon lange nicht mehr.

Komiker Mike Krüger scheint sich jedenfalls nicht an den angebundenen Plastik-Deckel gewöhnen zu wollen. Auch er tut sich als Kritiker hervor und dichtete sogar seinen Song "Der Nippel" um, mit dem er 1980 die Charts stürmte. Der neue Refrain:

"An Plastik-Deckeln, da ist jetzt ein Nippel dran, damit die Deckel keiner mehr verlieren kann." Mike Krüger in seinem Song "Der Plastikdeckel-Nippel"

Über dieses Thema berichten wir am 03.07.2024 auch im "Morgenecho" bei WDR 5 und in der "Aktuellen Stunde" im WDR Fernsehen.

Unsere Quellen:

  • Einwegplastik-Richtlinie
  • Kreislaufwirtschaftsgesetz
  • Umweltschutzgruppe Ocean Conservancy
  • User-Kommentare beim Youtube-Kanal von WDR aktuell
  • Umweltexperte Philip Heldt, Verbraucherzentrale NRW, im WDR-Interview
  • Eugen Herzog, Professor für Verpackungstechnologie und Nachhaltigkeit an der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig, im WDR-Interview
  • Musikvideo zum Mike-Krüger-Song "Der Plastikdeckel-Nippel" bei Youtube