Alle reden über das 49-Euro-Ticket, auch "Deutschlandticket" genannt. Wann kommt es? Was verspricht es? Und wird es dauerhaft "nur" 49 Euro kosten? Dabei ist der Preis längst nicht alles: Wer nicht mitten in der Stadt lebt hat mit Bus und Bahn oft schlechte Karten.
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Ob Krankenhaus, Bücherei oder Behörde - wer auf dem Land lebt, muss ab und zu den Weg in die nächste Stadt antreten. Verkehrsexperten nennen das eine Reise ins nächste Mittel- oder Oberzentrum. Gut 1.100 davon gibt es in Deutschland - dort gibt es etwa Schulen, Krankenhäuser, Kreisverwaltungen oder auch Universitäten. Diese "zentralen Orte" zu erreichen ist für die Menschen, die nicht mittendrin wohnen, enorm wichtig - aber nicht selbstverständlich.
Wie gut sind diese Städte erreichbar? Das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) hat nachgerechnet: Rund 99,5 Prozent der deutschen Bevölkerung erreichen den nächsten zentralen Ort mit dem Auto in einer halben Stunde. Mit öffentlichen Verkehrsmitteln schaffen es dagegen nur 82 Prozent in der gleichen Zeit.
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Besonders im Süden und Nordosten NRWs gewinnt das Auto gegen öffentlichen Verkehr deutlich. Rund um Blankenheim etwa braucht man ins Stadtzentrum des nächsten zentralen Ortes mit dem Auto nur gut 18 Minuten, mit Bus und Bahn hingegen 64 Minuten - ist also 46 Minuten länger unterwegs. Auch in Petershagen, Versmold oder Schloß Holte-Stukenbrok braucht man mit Bus und Bahn im Schnitt mehr als eine halbe Stunde länger als mit dem Auto.
Wartezeit lässt das Auto gewinnen
Die Gründe liegen auf der Hand: Wer etwa mit dem Bus ins nächste Zentrum fahren möchte, muss häufig an der Haltestelle erst einmal warten, manchmal auf dem Weg auch noch umsteigen. Das alles kostet (Warte-) Zeit, die einem mit dem Pkw erspart bleibt.
Hinzu kommt: "Egal ob Bus oder irgendein Schienenverkehrsmittel, die müssen natürlich unterwegs auch noch oft anhalten", erklärt Prof. Volker Stölting von der Technischen Hochschule (TH) Köln. Ein Bus müsse etwa auf dem Weg ins nächste Zentrum auch andere Dörfer links und rechts der Hauptstraße mitnehmen. "Sonst lohnt sich der Bus nicht", so Stölting.
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Auto galt lange als Verkehrsmittel der Zukunft
Schon früh hat man in Deutschland auf den Pkw als das vermeintliche Verkehrsmittel der Zukunft gesetzt. In den 1950er Jahren wurde das Auto zum Motor des Wirtschaftswunders. Der Schienenverkehr hingegen wurde immer weiter reduziert, etwa auf wichtige Strecken im Fernverkehr.
Angeblich unrentable Strecken wurden vielerorts stillgelegt und abgebaut. "Die Deutsche Bahn war bis 1994 eine Behörde und damit völliges Staatseigentum. Sie konnte tun und lassen, was sie wollte", erklärt Stölting. Auch in den Städten wurden viele Straßenbahnen stillgelegt.
"Das war eine gewollte Politik. Und damit leben wir heute immer noch", betont auch Prof. Ulrike Reutter von der Universität Wuppertal. Ein Umdenken hat laut Reutter erst in den 1980er Jahren mit dem Aufkommen der Umweltbewegungen begonnen. Damals wollte man dann beides, den ÖPNV und den Autoverkehr, zusammen ausbauen. Aber:
Erst langsam beginne die Politik nun erneut, umzudenken.
Neue Konzepte für eine neue Mobilität
Ideen und Konzepte, um den öffentlichen Verkehr in NRW wieder zu stärken, gibt es viele. Einige sind im Stadtbild direkt erkennbar, andere nur auf den zweiten Blick.
So dürften sich etwa in Wuppertal auf dem Ölberg anfangs viele Autofahrer gefragt haben, was denn da plötzlich sechs ihrer Parkplätze versperrt. Was aussieht wie eine zu breit geratene Litfaßsäule ist eine Fahrradgarage, die hier 2019 errichtet wurde. Außen ist das runde Häuschen mit Holz verkleidet, im Innern bietet es Platz für ein Dutzend Fahrräder oder Pedelecs.
Zur Anlage gehören noch Fahrrad-Abstellplätze neben dem Gehweg, eine Bushaltestelle und Taxi- sowie Carsharing-Parkplätze. Alles zusammen ist eine so genannte "Mobilstation", von denen es schon viele und immer mehr in NRW gibt. Mobilstationen sind quasi Knotenpunkte, an denen Verkehrsteilnehmer ihre Verkehrsmittel wechseln können - etwa vom Fahrrad zum Bus oder vom Taxi zum Fahrrad. Verkehrsexperten sprechen hierbei von Multimodalität.
Mobilstationen helfen beim Wechsel der Verkehrsmittel
Nicht immer erinnert eine Mobilstation wie in Wuppertal an eine zu breit geratene Litfaßsäule. Aussehen und Angebote können sehr unterschiedlich sein. Gemeinsam haben sie häufig die zentrale Anbindung an den ÖPNV, also Schienenverkehre oder Busse. Daneben reichen die Angebote der einzelnen Stationen von automatischen Radverleihsystemen über Taxiständen, Carsharing-Angeboten, E-Tretroller-Sharing, Pkw-Stellplätzen bis hin zu Gepäckschließfächern - je nach Lage und Bedürfnis der Verkehrsteilnehmer.
Die Stadt Essen plant derzeit gemeinsam mit der Ruhrbahn 10 bis 12 Mobilstationen verteilt im Stadtgebiet. Und auch der Nahverkehr Rheinland (NVR) plant den Aufbau eines flächendeckenden Mobilstationen-Netzes. Hierzu wurden nach Angaben des Verkehrsverbundes Rhein-Sieg aus rund 9.600 Haltestellen etwa 460 Standorte ausgewählt und überprüft, wie diese zu Mobilstationen ausgebaut werden könnten.
Schnellbusse als Alternative zum Auto
Einige Stationen sind auch an das Schnellbusnetz angeschlossen - ein weiterer wichtiger Baustein zur Stärkung des öffentlichen Verkehrs. Schnellbusse werden häufig eingesetzt, um den ländlichen Raum mit dem Schienenverkehr zu verbinden. In der 2019 beschlossenen "ÖPNV-Offensive" des Landes NRW sind 100 Millionen Euro zur Förderung von zusätzlichen Schnellbuslinien bis zum Jahr 2032 vorgesehen. Diese sollen den Schienenverkehr ergänzen, nicht in Konkurrenz zu ihm treten - wohl aber zum Pkw.
Damit Schnellbusse zu einer echten Alternative zum Auto werden können, wurden von den Zweckverbänden Nahverkehr Westfalen-Lippe, Nahverkehr Rheinland und Verkehrsverbund Rhein-Ruhr einheitliche Qualitätskritierien definiert. So müssen Schnellbusse etwa unter der Woche zwischen 6 und 20 Uhr mindestens im 60-Minuten-Takt fahren. Auch für die Busse selbst gibt es Vorgaben, etwa zu USB-Anschlüssen an den Sitzen.
Autoverkehr einschränken?
Wer dennoch nicht auf das eigene Auto verzichten möchte, bekommt hingegen in immer mehr Städten ein Problem: Parkraum wird knapp und teuer. Und das ist auch richtig so, findet Ulrike Reutter von der Uni Wuppertal.
Die Professorin ist Mitglied im wissenschaftliche Beirat des Verkehrsclub Deutschland e.V. (VCD). Ihre Dissertation schrieb sie zum Thema "Autofreies Leben in der Stadt".
"Jahrzehntelang wurde alles dem Primat des Autoverkehrs untergeordnet", erklärt Reutter. Hier müsse dringend gegengesteuert werden, etwa durch grüne Wellen in den Städten für Busse statt Autos. Auch die Parksituation müssen sich ihrer Ansicht nach ändern. Anwohner sollten Fahrzeuge etwa in Quartiersgaragen oder Parkhäusern außerhalb der Zentren abstellen statt wie bisher am Straßenrand. "Es gibt viele Maßnahmen, die man machen kann. Aber das muss natürlich politisch gewollt sein", so Reutter.
Seilbahn als Ergänzung in den Städten
Eine etwas ungewöhnlich klingende Maßnahme wartet in Köln derzeit auf Umsetzung: eine Seilbahn über den Rhein als Ergänzung zu Bus und Bahn - und zur bisherigen Seilbahn, die eher selbst als Ausflugsziel dient. "Wir sehen hier Potenzial für die Region, aber auch darüber hinaus", erklärt Volker Stölting. Der Verkehrswissenschaftler unterstützt die Idee zusammen mit Studierenden der TH Köln.
Nach Vorschlägen der Kölner Ratsgruppe GUT soll ein 33 Kilometer langes Seilbahnnetz im Zick-Zack-Kurs über den Rhein führen. Derzeit lässt der Rat der Stadt die Umsetzung durch eine technische Machbarkeitsstudie prüfen.
Auch das Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) hat das Potential erkannt und 2021 eine Studie über die "stadt- und verkehrsplanerische Integration urbaner Seilbahnprojekte" in Auftrag gegeben. Trotz der "nachweislichen Vorteile von Seilbahnen in vielen Metropolen weltweit" gebe es in Deutschland wenig Erfahrungen mit Seilbahnsystemen im urbanen Bereich, heißt es im Leitfaden des Ministeriums. Das soll sich nun ändern.
Seilbahnen gewinnen bei Passagierzahlen gegen Busse
Nach Berechnungen der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PWC können Seilbahnen rund 6.000 Fahrgäste pro Stunde transportieren. Straßenbahnen kommen demnach auf etwa 2.000 bis 3.000 Personen pro Stunde, Busse auf 600 bis 1.000 Personen. Auch die Energiebilanz ist besser: Laut PWC verbrauchen Seilbahnen im Vergleich zu U-Bahnen oder Straßenbahnen nur die Hälfte an Kilowattstunden (kWh) pro 100 Passagierkilometer.
Seilbahnen eignen sich durch ihre langsame Fahrt zwar nur für kürzere Strecken, sind aber relativ schnell gebaut. Im Vergleich zu U-Bahnen sind sie aber auch im Stadtbild gut sichtbar. Das ruft neben den Befürwortern auch Gegner auf den Plan. In Bonn, wo eine Seilbahn bis auf den Venusberg fahren soll, hat sich bereits eine Bürgerinitiative "Bonn bleibt seilbahnfrei" gegründet. Dabei wird - wie vielerorts - deutlich: Die Verkehrswende muss nicht nur politisch gewollt sein.