Der Bundestag könnte am 23. Februar neu gewählt werden - auf diesen Termin haben sich nach Informationen des ARD-Hauptstadtstudios SPD und Grüne gemeinsam mit der Union verständigt. Bis zur Neuwahl müssen Kommunen einiges organisieren.
Bundeswahlleiterin Brand warnt vor zu früher Neuwahl
Die Bundeswahlleiterin Ruth Brand hatte deshaln nach der Auflösung der Ampel in einem Brief an Kanzler Scholz appelliert, auf dem Weg zur Neuwahl nichts zu überstürzen. In dem Schreiben, das dem WDR vorliegt und über das der "Spiegel" zuerst berichtet hatte, warnt sie vor "unabwägbaren Risiken auf allen Ebenen", sollten Termine und Fristen in die Weihnachtszeit oder in den Zeitraum zwischen den Jahren fallen.
So könnte etwa ein "überstürztes Handeln" zu "einer vermehrten Nichtzulassung von Wahlvorschlägen führen". Zudem warnt sie vor einer Überlastung von Gemeindebehörden oder Wahlämtern. Dies könnte unter anderem zu Verzögerungen beim Versand von Briefwahlunterlagen führen. "Insgesamt sehe ich in diesem Fall eine hohe Gefahr, dass der Grundpfeiler der Demokratie und das Vertrauen in die Integrität der Wahl verletzt werden könnte", so die Bundeswahlleiterin.
Neuwahl im Januar? "Dann müssen wir auf die Briefwahl verzichten"
Da ist zum Beispiel die Sache mit dem Papier. In ihrem Schreiben wies Landeswahlleiterin Brand auch mögliche Probleme bei der Papierbeschaffung hin. Die Papierindustrie hält dagegen. Bei rechtzeitiger Bestellung könne man das benötigte Papier für eine vorgezogene Bundestagswahl liefern, sagte Alexander von Reibnitz, Hauptgeschäftsführer des Verbands Die Papierindustrie, "ZDFheute.de". Das sehen aber in der Branche nicht alle so entspannt. "Wenn wir am 19. Januar wählen wollen, dann bekommen wir das von den Stimmzetteln her hin. Wir müssen dann aber auf die Briefwahl verzichten", sagt der Geschäftsführer der größten deutschen Stimmzetteldruckerei in Bonn im Interview mit dem WDR.
Bei einer Wahl Ende Februar ist bei der Papierbeschaffung jetzt zumindest etwas der Druck raus. Wahlen bedeuten aber auch für Kommunen einen erheblichen Aufwand.
Kurzfristig Tausende Wahlhelfer gesucht
Die Kommunen müssen zum Beispiel Wahlhelferinnen und Wahlhelfer suchen und Wahllokale anfragen. Bei vorgezogenen Neuwahlen wird das zur logistischen Herausforderungen: Alles muss innerhalb weniger Wochen passieren.
Die kleine Stadt Hückeswagen im Bergischen Land zum Beispiel hat knapp 15.000 Einwohner. Für die Wahl im Wahllokal und für die Briefwahl braucht sie kurzfristig etwa 100 ehrenamtliche Wahlhelfer.
Grundsätzlich verfüge man über einen Pool an Menschen, die bei Wahlen mithelfen. Überwiegend seien das städtische Mitarbeitende und Lokalpolitiker. Ob die im Januar oder Februar zur Verfügung stehen? Torsten Kemper aus dem Ratsbüro von Hückeswagen ist sich nicht sicher.
Kempers Sorge: Menschen, die sonst immer helfen und vielleicht die Wahl für September im Kalender haben, könnten kurzfristig keine Zeit haben, weil sie schon andere Termine haben. Da müssten dann andere ran. Zwischendurch war sogar auch eine Neuwahl im Januar gefordert worden. Wäre so etwas logistisch überhaupt machbar gewesen?
Weihnachten, Neujahr, Neuwahlen
Auch wegen Weihnachten und Neujahr wäre die Zeit zur Vorbereitung extrem kurz. Kemper sagt, die Feiertage machten es nicht einfacher. Im Zweifel müssten "alle Kräfte gebündelt werden". "Die Durchführung von Wahlen gehört zu den wichtigsten Aufgaben in einer Demokratie und hier müssen entsprechend alle Hebel in Bewegung gesetzt werden." Am Ende werde es schon klappen.
Davon geht auch Linda Schumacher aus. Die Leiterin des Bielefelder Wahlteams hat derzeit alle Hände voll zu tun, um sich auf eine Neuwahl vorzubereiten. Schon einen Tag nach dem Aus der Berliner Ampel hat sie Druckereien für Stimmzettel und Wahlbenachrichtigungen kontaktiert.
Neben Material benötigt auch sie jetzt jede Menge Personal: Etwa 2.500 Wahlhelferinnen und Wahlhelfer müssen in Bielefeld bis zur Wahl gefunden werden. Schumacher kann dabei zwar auf einen großen Pool derjenigen zurückgreifen, die das schon öfter gemacht haben. Wahlhelfer zu finden sei aber inzwischen wirklich ein Problem für die Kommunen, heißt es auch vom Städte- und Gemeindebund.
Bei einer Wahl helfen ist Bürgerpflicht - Städte könnten dazu verpflichten
Was passiert, wenn sich nicht genügend Wahlhelferinnen und Wahlhelfer freiwillig melden? Dann könnten sie dazu verpflichtet werden: "Rechtlich handelt es sich bei Wahlhelferinnen und Wahlhelfern um ein Ehrenamt, zu dessen Übernahme jeder Wahlberechtigte verpflichtet ist. Eine Ablehnung ist nur aus wichtigem Grund möglich", heißt es aus dem Innenministerium.
In Münster ist Maik Johannes Waldeyer Leiter des Wahlamtes. Er bleibt entspannt. Er und sein Team verfolgen in diesen Tagen die Nachrichten sehr genau - um jederzeit schnell reagieren zu können. Eine Wahl im Januar, das wäre schon kurzfristig, sagt Waldeyer, auch mit Blick auf die etwa 3.500 Wahlhelfer, die in Münster gebraucht werden. Der Wahltermin komme jetzt überraschend, deshalb sei es schwierig zu kalkulieren, wie viele Helfer sich melden. Aber man sei zuversichtlich.
Grippewelle trifft auf Bundestagswahl
Münster plant bei den Wahlhelfern für die Neuwahl außerdem einen großzügigem Puffer ein. Ende Januar, Anfang Februar ist in der Regel auch Grippewelle in NRW – da werde der ein oder andere wegen Krankheit kurzfristig ausfallen, das sei anders als im September.
Waldeyer sieht aber auch Vorteile einer vorgezogenen Wahl. Im September 2025 sind auch Kommunalwahlen in NRW - 14 Tage vor dem Termin, der ursprünglich für die Bundestagswahl vorgesehen war. Das werde jetzt entzerrt - und das sei gut, meint Waldeyer, weil Menschen möglicherweise eher zweimal in einem Jahr bei einer Wahl helfen, wenn zwischen den Wahlen Monate statt Wochen liegen.
Es gibt aber auch einen Nachteil. Nach der Kommunalwahl kann es passieren, dass Bürgermeister und Landräte in die Stichwahl müssen. Diese hätte am selben Tag wie die Bundestagswahl durchgeführt werden können. Für diese Kommunen bedeutet eine Neuwahl jetzt drei Wahltermine im Jahr 2025. Andreas Wohland vom Städte- und Gemeindebund NRW sagt: "Wir hätten uns gewünscht, dass wir den Organisationsaufwand auf zwei Wahltage im kommenden begrenzen können."
Neuwahl gleich Mehrkosten?
Bedeutet eine Neuwahl Mehrkosten? Nein, sagen die Städte wie Münster und Aachen. "Die Kosten seien für 2025 ja eh eingeplant gewesen", sagt Yvonne Debald, Abteilungsleiterin Statistik und Aachen. Ob die Wahl jetzt früher oder später stattfindet, mache keinen wesentlichen Unterschied.
Herausforderung auch für die Parteien
Eine Herausforderung wird die vorgezogene Bundestagswahl derweil auch für die Parteien, die jetzt Tempo machen müssen - etwa mit Blick auf die Wahlkampfvorbereitung und auf die Landeslisten mit den Kandidaten. "Wir haben uns vorbereitet und können die Wahlkampfvorbereitungen zügig in die Wege leiten", erklärte etwa ein Sprecher der Grünen in NRW.
Die Landespartei hatte bereits einen Landesparteitag für Anfang Dezember in Bielefeld angesetzt, um die Landesliste zu beschließen. "Dieser Termin wird auch einer vorgezogenen Bundestagswahl im Frühjahr gerecht. Dahingehend ändert sich für uns nichts", so der Sprecher.
Große Parteien gut vorbereitet
Die SPD in NRW muss hingegen umplanen. Sie hatte ihren Parteitag zur Kandidatenaufstellung eigentlich für Mai vorgesehen. Der muss jetzt vorgezogen werden. Aber: "Wir waren grundsätzlich vorbereitet und sind kampagnenfähig", erklärte Landesvorsitzende Sarah Philipp.
Auch FDP-Landeschef Henning Höhne sieht seine Partei "organisatorisch gut aufgestellt". Ein Problem zumindest der größeren Parteien wird es nun sein, große Veranstaltungsräume zu finden, in denen in den kommenden Wochen Landesparteitage stattfinden können.
Kleine Parteien benötigen mehr Zeit
Auch kleine Parteien wie Volt sehen sich aktuell ganz gut vorbereitet - wenn die Neuwahl nicht zu früh stattfinden sollte. "Wir haben unsere Listenaufstellung von Februar auf Dezember vorgezogen", berichtet Nancy Meyer, Co-Vorsitzende von Volt NRW. Bei der Europawahl kam die Partei in Deutschland auf beachtliche 2,6 Prozent. Ihr nächstes Ziel ist nun der Einzug in den Bundestag. "Der Schwung ist noch da", meint Meyer. Allerdings hänge viel vom Termin der Neuwahl ab.
Vergangene Woche hatte die Partei bereits einen "Notfallplan" erstellt, der allerdings einen Wahltermin Anfang März vorsah. "Der Februar würde für uns vielleicht auch noch gehen, aber Januar wird schwierig", erklärt Meyer. Dann wäre das "eine Wackelkiste". Denn: Anders als die bereits im Bundestag vertretenen Parteien müssen sie zusammen mit der Landesliste auch 2.000 Unterstützungsunterschriften einreichen. Und die müssten erst einmal gesammelt werden.
Gar nicht schnell genug gehen kann's hingegen dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW). Dessen Landesvorsitzender Amid Rabieh fordert die sofortige Vertrauensfrage von Olaf Scholz im Bundestag. "Und nicht erst nächstes Jahr!" Alles andere wäre "politische Insolvenzverschleppung", so Rabieh.
Unsere Quellen:
- Informationen des ARD-Hauptstadtstudios
- Anfragen bei den Städten Hückeswagen, Münster, Aachen, Mülheim an der Ruhr, Leverkusen
- Anfragen bei den Grünen NRW und SPD NRW
- Nachrichtenagentur dpa
- Bundesinnenministerium: Häufig gestellte Fragen zum Thema: Wahlhelfertätigkeit
- § 10 der Bundeswahlordnung
Über dieses Thema berichten wir im WDR am 08.11.2024 unter anderem im "Tag um zwölf" bei WDR 3.