"Es war ein wunderschöner Tag gewesen", erzählt der 63-Jährige dem WDR. Seine Frau und er hatten in der Nähe von Wehrl "die Oma" in der Reha besucht und waren gerade auf dem Rückweg nach Remscheid auf der A1 unterwegs. Plötzlich habe sich "im Bruchteil einer Sekunde" vor ihnen "eine schwarze Wand" aufgebaut. Es knallte. Und gleich noch mal. Sie hätten tot sein können. Aber hatten riesiges Glück.
Der Mann, der lieber anonym bleiben will, kontaktiert den WDR am Montag aus dem Krankenhaus über die WDR Aktuell App. Am Dienstag sollen seine Frau und er entlassen werden. Die Schmerzen seien groß, aber die Verletzungen gering, berichtet er.
Der Schock sitzt tief
Der Schock sitzt ihm noch tief in den Knochen. Aber er will trotzdem darüber sprechen, was die beiden erlebten, als sie am Samstag bei Hagen zu Unfallopfern der Chaosfahrt eines 30-jährigen polnischen Lkw-Fahrers wurden. Seine Stimme ist ruhig und gefasst. Nur manchmal, entschuldigt er sich, könne er doch nicht weitersprechen, weil die Emotionen hochkämen.
Es war ein sonniger, winterlicher Tag, als sich die beiden gut gelaunt auf den Heimweg machten. "Wir fuhren gemütlich über die Landstraße und dann bei Schwerte hoch auf die A1 in Richtung Köln", erzählt der Mann. "Komm, genug geredet!, sagten wir uns nach ein paar Minuten." Sie schalteten das Radio an und hörten Musik.
Der Unfall ereignete sich bei Hagen an einer Baustelle. Die drei Spuren waren verengt. "Ich fuhr ganz rechts. Wir hatten es ja nicht eilig." Die Autos vor ihnen fuhren langsam. Er passte sich an. "Ich stellte den Tempomat auf 75."
"Schwarze Wand" wie aus dem Nichts
Nichts deutete sich an. Von einem schlängelnden Lkw, wie ihn Augenzeugen später beschrieben, bekamen die beiden nichts mit. Die "schwarze Wand" kam wie auch dem Nichts.
Plötzlich knallte es. Die Airbags gingen auf. "Dann knallte es noch einmal, wohl von dem Wagen hinter uns." Alles kam zum Stehen.
Rauch war zu sehen. "Es roch nach Feuer", erzählt der Mann. "Es war der Geruch von Pyrotechnik durch die Airbags." Erinnerungen schossen in ihm hoch: an seine Zeit bei der Bundeswehr, als er mit seinen Kameraden mit kleinen Sprengungen experimentierte.
"Was ist los hier?, fragte meine Frau. Lass uns sofort raus hier!" Sie mussten durch die Beifahrertür, die Fahrertür ließ sich nicht öffnen. "Ich habe noch die Jacken gegriffen und das Portemonnaie. Den Schlüssel konnte ich nicht finden", erinnert er sich.
Erst draußen wurde ihnen klar, in welchen riesigen Unfall sie geraten waren. Direkt neben dem Fahrerhaus des Lkw kam ihr Auto zum Stehen. Es war gegen eine Baustellen-Leitplanke aus Beton geknallt.
Die Leitplanke hatte der Lkw mit sich gerissen, als er von der Gegenrichtung kommend mit dem Anhänger quer über die Fahrbahnen rauschte und alles blockierte. Überall sahen die beiden zu Schrott gefahrene Autos. Eine unübersichtliche Lage.
"Prompt stand vor uns ein junger Polizist." Wie konnte der so schnell da sein?, fragten sich die beiden. Er klärte sie auf, dass die Polizei den Lkw schon seit Düsseldorf verfolgte. Das sind Dutzende Kilometer einschließlich Autobahnwechsel, auf denen die Polizei den Lkw trotz zahlreicher Unfälle nicht stoppen konnte.
Seine Frau hatte starke Schmerzen, vor allem im Beckenbereich. Die Sorge war groß, dass ihre inneren Verletzungen groß sein könnten. Wenig später kamen Sanitäter und Ärzte zu Hilfe.
"Erst dann konnte ich loslassen." Für einen Moment lang fiel seine Anspannung ab. "Ich heulte wie ein Schlosshund."
Ein Hubschrauber flog die Frau schließlich ins Krankenhaus. Er selbst kam im Krankenwagen hinterher. Nach vielen Untersuchungen einschließlich CT war schließlich klar: Die Verletzungen der beiden sind nicht dramatisch. Sie konnten aufatmen - wenn auch nur ein bisschen. Denn die Schmerzen durch den Aufprall nähmen immer noch zu, erzählt der Mann zwei Tage später.
Am Samstagabend sahen die zwei im WDR-Fernsehen die Berichte über die Chaosfahrt des Lkw. Plötzlich war da auch ihr Wagen zu sehen: der blaue Opel Meriva, total zerstört neben dem Lkw: "Das ist unser Auto!"
Die Gedanken an den Unfall lassen dem Mann keine Ruhe. "An der Unfallstelle war noch vieles unklar. Wir dachten, es wäre eine Amokfahrt."
Mittlerweile ist klar: Der Lkw-Fahrer war alkoholisiert. Später wurde er in eine psychiatrische Klinik eingewiesen. Für den Remscheider ist das keineswegs ein Trost.
Aber er ist dankbar. Dankbar, dass sie Glück hatten. Dankbar, dass ihnen so viele Menschen geholfen haben. Die Feuerwehrleute zum Beispiel, die an der Unfallstelle nicht nur ihre Arbeit machten, sondern auch mit ihnen redeten. Die Sanitäter, die sie so gut versorgten.
"Auch die Polizisten waren klasse. Die haben sich so toll um uns gekümmert", sagt der Mann am Telefon - und verstummt. Vor Rührung kann er nicht mehr sprechen.
Da sei zum Beispiel dieser kleine Moment gewesen, erzählt der 63-Jährige. Inmitten des riesigen Chaos an der Unfallstelle sagte seine Frau, sie habe Durst. Da reichte ihr ein junger Polizist die Wasserflasche, die er für sich selbst dabei hatte. Mehr habe er nicht anzubieten, sie könne gerne daraus trinken.
Unsere Quelle:
- WDR-Gespräch mit einem 63-jährigen Unfallopfer