Das erste Symptom ist meist eine zunehmende Vergesslichkeit: Termine werden vergessen, der Herd bleibt nach dem Kochen an. Später kommen Konzentrationsprobleme dazu. Im fortgeschrittenen Stadium sind Alzheimer-Kranke stark verwirrt, orientierungslos und können sich nicht mehr alleine versorgen.
Die Diagnose Alzheimer trifft Patienten und deren Familien meist mit voller Wucht. Alzheimer ist die häufigste Form von Demenz, mehr als eine Million Menschen in Deutschland sind daran erkrankt. Laut dem Landesverband der Alzheimer Gesellschaften leben in NRW schätzungsweise 361.000 Menschen mit Demenz, zwei Drittel davon mit der Diagnose Alzheimer.
Betroffen sind doppelt so viele Frauen wie Männer. Rund zwei Drittel der Erkrankten werden zu Hause von ihren Angehörigen und Freunden betreut und gepflegt.
Lecanemab jetzt von EMA empfohlen
Für einige Betroffene könnte das neue Medikament Lecanemab ein Lichtblick sein. Der Wirkstoff kann die Erkrankung zwar nicht heilen, soll aber ihr Fortschreiten verlangsamen. Die Europäische Arzneimittel-Agentur EMA hat der EU am Donnerstag empfohlen, Lecanemab für Europa zuzulassen. Die EU-Kommission hat nun 67 Tage Zeit, das Medikament für den Markt freizugeben.
Nach WDR-Informationen hat die Kommission bereits angekündigt, dass die Prüfung in jedem Fall mehrere Wochen dauern werde.
Alzheimer entsteht durch Eiweißablagerungen im Gehirn - die sogenannten Amyloid-Plaques - die zum Absterben der Nervenzellen führen. Der neue Wirkstoff Lecanemab ist ein Antikörper, der die Bildung dieser Ablagerungen bremsen soll. Wenn das Medikament sehr frühzeitig eingesetzt wird, könnten betroffene Menschen länger eigenständig bleiben.
"Meilenstein" in der Forschung
Als "Meilenstein" bezeichnet Katharina Bürger, Leiterin der Gedächtnisambulanz an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität, das neue Medikament. Bislang habe es kein Präparat gegeben, das die Alzheimer-Krankheit "tatsächlich in irgendeiner Art und Weise kausal beeinflussen kann".
Allerdings dämpft sie gleichzeitig zu hohe Erwartungen: Lecanemab wirke nur in einem "kleinen Zeitfenster der Erkrankung", nämlich in der Phase der allerersten Symptome. Man gehe in Deutschland von 300.000 bis 400.000 Patienten mit frühem Alzheimer aus, genau lasse sich die Zahl aber nicht beziffern. Aus internationalen Studien sei bekannt, dass etwa 20 Prozent der potenziellen Kandidaten für die Therapie in Frage kämen - also rund 80.000.
Aufwändige Untersuchungen für Diagnose notwendig
Viele Menschen machen sich Sorgen, wenn sie merken, dass sie vergesslich werden. Das Problem: Wenn Patienten aber über diese "leichte kognitive Störung" klagen, heiße das noch nicht, dass sie Alzheimer haben, sagt Peter Berlit von der Deutschen Gesellschaft für Neurologie.
Ablagerungen im MRT sichtbar
Um das sicher festzustellen, seien aufwändige Untersuchungen notwendig: Die Amyloid-Ablagerungen im Hirn müssen entweder über bildgebende Verfahren oder eine Nervenwasser-Untersuchung nachgewiesen werden. "Das ist sehr aufwendig, sehr kostspielig und auch nur in wenigen Zentren möglich."
Gefährliche Nebenwirkungen möglich
Hinzu kommt: Lecanemab kann offenbar auch ernste Nebenwirkungen haben. Vor allem Hirnödeme und kleinere oder größere Hirnblutungen kamen bislang vor. Zusammen mit Blutverdünnern oder ASS sei die Therapie "sehr kritisch zu sehen", sagt Neurologe Berlit.
Im Juli hatte sich die Europäische Arzneimittel-Agentur gegen eine Empfehlung zur Zulassung ausgesprochen. Der zu erwartende Effekt sei nicht groß genug, um das Risiko von Nebenwirkungen zu rechtfertigen. Daraufhin hatte der Hersteller des Medikaments, die Pharmaunternehmen Eisai in Japan und Biogen in den USA, eine erneute Prüfung beantragt.
Gabor Petzold vom Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen in Bonn hatte die erste Ablehnung durch die EMA kritisiert: Erfahrungen aus den USA zeigten, dass sich Risiken wie Hirnblutungen durch regelmäßige Kontrollen frühzeitig erkennen ließen. Ja, die Therapie sei sehr aufwändig, schrieb Petzold in einem Gastbeitrag für den "Tagesspiegel", dennoch solle man ihre Chancen nutzen - "im Sinne der Patienten von heute und der von morgen".
Australien lehnt Zulassung ab
In einer zweiten Prüfung wurde das Mittel dann ausschließlich an bestimmten Patienten getestet - solchen, die aufgrund ihrer Genetik eine geringere Wahrscheinlichkeit für schwerwiegende Nebenwirkungen wie Hirnschwellungen und -blutungen hatten. Mit dem Ergebnis, dass in der "begrenzten Population", die bei der erneuten Prüfung untersucht wurde, der Nutzen von Lecanemab doch größer sei als die Risiken.
In den USA ist Lecanemab schon seit Juli 2023 auf dem Markt, auch in Großbritannien ist es zugelassen. Allerdings werden dort die Kosten für die Therapie nicht vom staatlichen Gesundheitsservice übernommen. Begründung: Die hohen Therapiekosten würden den geringen Therapieerfolg nicht rechtfertigen. In Australien entschieden die Behörden im Oktober, das Medikament nicht zuzulassen.
Gegen Alzheimer vorbeugen
Übrigens: Forscher gehen davon aus, dass weltweit 45 Prozent aller Demenzerkrankungen vermieden oder verzögert werden könnten. Allerdings nicht durch Medikamente, sondern indem jeder einzelne für seine Gehirn-Gesundheit sorgt. Durch gesunde Ernährung, regelmäßige Bewegung, soziale Kontakte. Auch medizinische Risikofaktoren für Demenz - wie Sehschwäche, Schwerhörigkeit, Bluthochdruck und hohe Cholesterinwerte - lassen sich gezielt behandeln.
Der Verein Alzheimer Forschung Initiative in Düsseldorf gibt umfangreiche Tipps dazu:
Quellen:
- Homepage Alzheimer Forschung Initiative e.V.
- Verein Alzheimer NRW
- Science Media Center (Audio-Statements Dr. Katharina Bürger und Prof. Dr. Peter Berlit)
- Gastbeitrag Gabor Petzold in "Der Tagesspiegel"
- Euro-Informationen (DPA-Europaticker)
- DPA