Landtagswahlen: Welche Rolle das BSW in Thüringen und Sachsen spielte

Stand: 02.09.2024, 15:39 Uhr

Thüringen und Sachsen haben gewählt. In beiden Ländern landete das BSW auf dem dritten Platz. Die Stimmen dafür kamen vor allem von Menschen, die vor fünf Jahren noch die Linke wählten. Aber auch der AfD nahm das Bündnis Sahra Wagenknecht Prozentpunkte ab.

Bei der Wahl in Sachsen wurde das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) mit 11,8 Prozent drittstärkste Kraft. In Thüringen kam das BSW sogar auf einen Anteil von 15,8 Prozent. Dafür nahm die erst Anfang des Jahres gegründete Partei vor allem der Linken viele Stimmen ab, also der Partei, von der sie sich abgespalten hat.

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Doch auch viele Menschen, die bei den letzten Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen noch CDU, AfD, SPD und Grüne gewählt hatten, machten am Sonntag ihr Kreuz beim BSW.

Welchen Einfluss hatte das BSW-Ergebnis auf die AfD?

Welchen Einfluss hatte das auf den Ausgang der Wahl? Sind die etablierten Parteien kein Gegengewicht mehr zur AfD, weil ihnen das BSW zu viele Stimmen streitig machte? Oder verhinderte der BSW-Erfolg, dass die AfD in Thüringen einen noch deutlicheren Sieg einfahren konnte und womöglich auch in Sachsen die meisten Stimmen geholt hätte?

Der Politikwissenschaftler Daniel Seikel von der SPD-nahen Hans-Böckler-Stiftung untersuchte bereits vor der Wahl, welche Menschen dazu neigen, das BSW zu wählen.

Politikwissenschaftler Daniel Seikel | Bildquelle: Picturemakers

WDR: Herr Seikel, obwohl Ihre Untersuchung aus dem November 2023 sich nicht auf eine konkrete Wahl bezog, sind mehrere der Prognosen, die Sie danach anstellten, bei den Wahlen in Thüringen und Sachsen eingetreten. Viele Wähler der Linken und der AfD wechselten bei dieser Wahl zum BSW.

Daniel Seikel: Ja, das ist richtig. Bei den Wählern und Wählerinnen, die 2019 noch die Linke wählten, ist das nicht überraschend. Schließlich ist das BSW aus einer Abspaltung von der Linken hervorgegangen. So wurden viele Wähler mitgenommen.

WDR: Aber wieso gaben auch viele bisherige AfD-Wähler am Sonntag dem BSW ihre Stimme?

Seikel: Das hat mit dem Profil des BSW zu tun. Denn die Partei deckt ein Themenspektrum ab, das bislang keine andere Partei hatte. Einerseits ist sie bei ökonomischen und sozialpolitischen Themen eher links eingestellt, also nah bei der Linken. Gleichzeitig vertritt sie gesellschaftspolitisch eine eher konservative Einstellung. So spricht sich das BSW auch klar für eine Begrenzung von Zuwanderung aus.

WDR: Also eher wie AfD und CDU?

Seikel: Aber mittlerweile auch viele der anderen Parteien, außer der Linken. Die restriktive Migrationspolitik des BSW ist kein Alleinstellungsmerkmal, auch wenn es offenbar von vielen Menschen so wahrgenommen wird.

WDR: Welchen Einfluss hatte es, dass bei den beiden Landtagswahlen das BSW erstmals antrat und ein so gutes Ergebnis erzielte?

Seikel: Ohne das BSW wäre der Anteil der AfD wahrscheinlich höher gewesen. Einerseits, weil das Bündnis Sahra Wagenknecht die einzige Partei war, die der AfD Stimmen abnehmen konnte, und andererseits, weil sich wahrscheinlich auch viele Menschen für das BSW entschieden, die zwar 2019 noch nicht die AfD gewählt haben, es aber zwischenzeitlich vor hatten.

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Konkrete Zahlen gibt es im Moment dazu noch nicht, ein Anhaltspunkt sind aber die hohen Zustimmungswerte, die die AfD noch einige Monate vor den Wahlen hatte. Zum Beispiel kam sie bei der Sonntagsfrage im Sommer 2023 auf 34 Prozent in Thüringen oder im Januar 2024 auf 35 Prozent in Sachsen. Die offiziellen Zahlen über die Wählerwanderung seit den letzten Landtagswahlen bilden das nicht ab.

WDR: Waren das vor allem Nichtwähler, die dann statt der AfD das BSW gewählt haben?

Seikel: Man hat schon gesehen, dass das BSW viele dieser Menschen dazu gebracht hat, doch wählen zu gehen. Gleichzeitig sprach das BSW vermutlich aber auch noch eine andere Gruppe an: Diejenigen, die zwar 2019 CDU, SPD oder eine andere Partei gewählt hatten, aber irgendwann im letzten Jahr den Plan hatten, die AfD zu wählen.

Ich gehe davon aus, dass viele dieser Menschen sich dann noch umentschlossen haben, das BSW zu wählen. Wir haben in unserer Studie festgestellt, dass Personen, die erst nach der letzten Bundestagwahl eine Wahlabsicht für die AfD entwickelt haben, sehr oft eine Wahl des BSW in Erwägung zogen. Das trifft insbesondere für neue AfD-Anhänger in Ostdeutschland zu, die erst nach der letzten Bundestagswahl dazugekommen sind.

Das Gespräch führte Jörn Kießler.

Unsere Quellen:

  • Interview mit dem Politikwissenschaftler Daniel Seikel von der Hans Böckler Stiftung
  • Vorläufige Ergebnisse der Landtagwahlen in Thüringen und Sachsen
  • Analyse der Wahlergebnisse durch infratest dimap

Der WDR berichtet am 2. September auch im Hörfunk und TV über dieses Thema, unter anderem in der Aktuellen Stunde um 18.45 Uhr im WDR Fernsehen.