Anmerkung der Redaktion: Die in diesem Artikel genannten Zahlen über Sprachtests sind nicht richtig. Das Familienministerium teilte dem WDR am 10.11.2022 mit, es habe einen Übermittlungsfehler gegeben. Aus Dokumentationsgründen bleibt der Artikel dennoch online.
Das Land Nordrhein-Westfalen hat keinen Überblick über die Sprachdefizite von Vorschulkindern, die nicht in eine Kita gehen. Das geht aus einer Antwort des Familienministeriums auf eine Kleine Anfrage der SPD-Fraktion hervor, die dem WDR vorab vorliegt. Erkennbar ist in dem Schreiben von Familienministerin Josefine Paul (Grüne) auch, dass im Jahr 2021 nur noch halb so viele Kinder mit dem Verfahren "Delfin 4" auf ihre Sprachfähigkeit getestet wurden wie in den Jahren zuvor.
Land erfasst Daten nicht, weil Kommunen zuständig sind
Nach dem desaströsen Abschneiden der nordrhein-westfälischen Grundschulkinder in den Fächern Mathe und Deutsch bei der IQB-Bildungsstudie bahnt sich damit das nächste massive Problem in der NRW-Bildungspolitik an.
Dass sich die Zahl der Sprachstandsfeststellungen halbiert hat, bedeute, "dass möglicherweise bei tausenden Kindern ein Förderbedarf nicht erkannt wurde. Das ist ein dramatischer Befund", kommentierte der familienpolitische Sprecher der SPD, Dennis Maelzer.
Auch eine Sprecherin des Familienministeriums nannte die verschlechterte Datenlage auf WDR-Anfrage "unbefriedigend". Man sei sich des Problems bewusst und habe den Testzeitraum für dieses Jahr erweitert. Für 2022 hoffe man wieder auf mehr durchgeführte "Delfin 4"-Tests – und damit auf aussagekräftigere Daten.
Tatsächlich schreibt Familienministerin Paul auf die Frage, wie viele Kinder eine Sprachförderung besucht haben, schlicht "dazu liegen der Landesregierung keine Daten vor". Ebenso beantwortet sie die Frage, wie viele Kinder mit festgestelltem Sprachdefizit deshalb in eine Kita geschickt wurden. In beiden Fällen sind die Kommunen zuständig, deshalb erfasse das Land diese Daten nicht, so Paul.
SPD: Landesregierung tappt "vollkommen im Dunklen"
Auch die Anzahl der Kinder im Vorschulalter, die keine Kita besuchen, kann das Ministerium nicht benennen. "Hintergrund ist, dass es keine Bevölkerungsdaten mit dem Merkmal Schulbesuch gibt", heißt es dazu. SPD-Mann Maelzer kritisiert deshalb, "dass die Landesregierung vollkommen im Dunklen zu tappen scheint".
Zum Hintergrund: Seit 2015 werden alle Kinder im Alter von vier Jahren, die keine Kita besuchen, mit dem Verfahren "Delfin 4" getestet. So wird festgestellt, wie es um die Sprachfähigkeiten der Kinder steht – und ob sie womöglich eine Förderung benötigen. So soll unter anderem sichergestellt werden, dass die Kinder mit dem Beginn der Schulpflicht ab dem sechsten Lebensjahr dem Unterricht gut folgen können.
Einige Kommunen stellten Tests komplett ein
Dass die Anzahl der durchgeführten Tests so stark zurückgegangen ist, erklärt das Familienministerium mit der Corona-Pandemie. In einigen Kommunen ist die Anzahl der Tests jedoch regelrecht eingebrochen: So führte der Kreis Lippe im Jahr 2019 noch 113 Sprachstandserhebungen durch, im Jahr 2021 nur noch fünf. Drei Kommunen stellten die "Delfin 4"-Tests sogar ganz ein: Für das Jahr 2021 gab es in Mülheim an der Ruhr (2019: 223 Tests), in Münster (2019: 16 Tests) und im Kreis Minden-Lübbecke (2019: 294 Tests) gar keine Sprachstandserhebung mehr.
Kinder mit Sprachdefizit werden gefördert
Der "Delfin 4"-Test wird von Grundschul-Lehrkräften oder sozialpädagogischen Fachleuten durchgeführt. Falls ein Förderbedarf festgestellt wird, wird den Eltern empfohlen, ihr Kind in der Kita anzumelden. Falls sie das nicht tun, werden die Eltern vom Schulamt verpflichtet, ihr Kind zu einer vorschulischen Sprachfördermaßnahme zu schicken.
Bei Kindern, die eine Kita besuchen, wird der Sprachstand in der Betreuungseinrichtung beurteilt. Falls eine Sprachförderung notwendig ist, erfolgt diese ebenfalls in der Kita.