NRW-Integrationsministerin Josefine Paul (Grüne) hat Versäumnisse bei der fehlgeschlagenen Abschiebung des späteren Tatverdächtigen von Solingen eingeräumt. Der Einzelfall zeige, dass das "dysfunktionale" Asylsystem "einfach so nicht mehr handlungsfähig" sei, sagte Paul am Dienstag in Düsseldorf. Die Modalitäten seien "zu komplex". Sie forderte klarere Regelungen.
Der mutmaßliche Täter von Solingen hatte zuerst in Bulgarien EU-Territorium betreten und hätte eigentlich dorthin zurückgeschickt werden sollen. Doch laut Landesregierung wurde er im Juni 2023 bei der geplanten Abschiebung nicht in seiner Unterkunft in Paderborn angetroffen. Es gab nur diesen einen gescheiterten Versuch, ihn abzuschieben. Nach Informationen von WDR und NDR sollen sich die Mitarbeiter der Abschiebebehörde aber auch nicht bei Nachbarn oder beim Wachdienst nach seinem Aufenthaltsort erkundigt haben.
Am Freitagabend soll der Syrer auf einem Stadtfest in Solingen auf Umstehende eingestochen und drei Menschen getötet haben. Acht Menschen wurden verletzt, vier davon schwer.
Paul beklagt zu wenig Abschiebeflüge
In NRW will die Ministerin verbindliche Regeln, damit Verantwortliche in Asylunterkünften an die Behörden melden müssen, wenn Bewohner einer Unterkunft wieder anzutreffen sind.
"Wir werden den Zentralen Ausländerbehörden die Befugnis geben, dass sie auch auf die Anwesenheitssysteme - das heißt in Nordrhein-Westfalen DiAs - konkret zugreifen können, damit sie nämlich selber sehen können, ob die Person anwesend ist und ob sie auch wieder anwesend ist", sagte Paul im WDR-Interview.
Die Ministerin beklagt, dass es "zu wenig Möglichkeiten der Überstellungen nach Bulgarien" und zu wenig Abschiebeflüge gebe. Hier verwies sie auf die Verantwortung des Bundes. Künftig müsse regelhaft sofort versucht werden, einen weiteren Abschiebeflug zu buchen, wenn eine Abschiebung gescheitert ist. Nach Bulgarien seien aber zum Beispiel keine Charterflüge oder Landüberstellungen möglich.
Ministerin Paul betonte vor Journalisten mehrfach, dass das Asylprozedere zwischen Bund und Ländern insgesamt auf den Prüfstand gehöre. Eine persönliche politische Verantwortung als Fachministerin räumte sie nicht ein. Auch auf Fragen, warum sie erst nach dem Verbrechen von Solingen so klare Systemkritik äußere, gab Paul nur ausweichende Antworten.
Sondersitzungen im Landtag
Am Donnerstag kommen der Innen- und der Integrationsausschuss des nordrhein-westfälischen Landtags zu einer Sondersitzung zusammen. Dabei werden Fluchtministerin Paul und Innenminister Herbert Reul (CDU) den Abgeordneten Rede und Antwort stehen.
Ministerpräsident Hendrik Wüst will den Landtag am Freitag in einer Plenar-Sondersitzung über die Messerattacke in Solingen unterrichten. "Der Anschlag von Solingen ist eines der folgenschwersten Ereignisse in unserer Landesgeschichte", sagte der CDU-Politiker. "Es gibt weiterhin offene Fragen, an deren Beantwortung alle Beteiligten – seien es Bund, Land oder Kommunen – ein Interesse haben." Denn aus Fehlern müsse man lernen.
Unsere Quellen:
- Ministerin Paul bei Pressestatement in Düsseldorf
- Nachrichtenagentur dpa
- Ministerpräsident Wüst laut Mitteilung Staatskanzlei
Über dieses Thema berichteten wir am 27.08.2024 auch in der Aktuellen Stunde im WDR-Fernsehen.