Juristen halten auch Polizeigesetz in NRW für verfassungswidrig

Stand: 06.02.2023, 16:26 Uhr

Nach dem Urteil das Bundesverfassungsgerichte gegen Polizeigesetz von Mecklenburg-Vorpommern steht nun auch das NRW-Polizeigesetz im Fokus. Experten halten es in Teilen ebenfalls für verfassungswidrig.

Von Nina Magoley

Am Mittwoch hatte das Bundesverfassungsgericht festgestellt: Das Polizeigesetz in Mecklenburg-Vorpommern ist teilweise verfassungswidrig. Es greife an vielen Stellen zu weit in Persönlichkeitsrechte von verdächtigten Personen ein. Das seit 2020 gültige Gesetz erweitert den Handlungsspielraum für Ermittler deutlich - auch mit dem Ziel, vermutete Straftaten schon im Vorfeld zu verhindern.

So dürfen verdeckte Ermittler in Mecklenburg-Vorpommern bislang heimlich die Wohnung von Verdächtigen betreten, um dort Spähsoftware auf Computern oder Smartphones zu installieren. Das heimliche Abhören von Handygesprächen oder das Lesen von Textnachrichten wurde erleichtert.

"NRW-Gesetz verstößt gegen die Grundrechte"

Grundrechtsverstöße bei der Überwachung? | Bildquelle: dpa/WDR/Christian Charisius

Nach dem Urteil der Verfassungsrichter steht nun die Frage im Raum, ob auch das Polizeigesetz in NRW möglicherweise an vielen Stellen zu weit geht. Jurist David Werdermann von der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GfF) hat beide Gesetze verglichen und festgestellt, dass gerade die vom Gericht beanstandeten Passagen oft fast identisch formuliert sind. Damit hält er das NRW Polizeigesetz für ebenso verfassungswidrig wie das von Mecklenburg-Vorpommern: "Momentan verstößt das NRW-Gesetz gegen die Grundrechte", so Werdermann, "die Landesregierung ist in der Pflicht, das Gesetz neu zu schreiben".

Die GfF hatte auch die Verfassungsbeschwerde gegen das Gesetz in Mecklenburg-Vorpommern initiiert.

Verwanzte Autos, Liebesbeziehungen, private Daten

Problematisch seien vor allem drei Bereiche im NRW-Gesetz, deren Grenzen nicht klar beschrieben würden:

  • Der Einsatz technischer Mittel zur Beobachtung einer Person außerhalb deren Wohnung (Paragraf 17): Wird beispielsweise das Auto dieser Person heimlich verwanzt, können damit auch private Momente eingefangen werden, die - einfach gesagt - die Ermittler und den Staat nichts angehen.
  • Längerfristige heimliche Observationen von verdächtigen Personen durch V-Leute oder verdeckte Ermittler (Paragraf 16, 19, 20): Hier sei in Absatz 1.2 nicht deutlich abgegrenzt, mit welcher Begründung eine Person heimlich beobachtet werden darf. Und wann ein solcher Einsatz abgebrochen werden muss, weil er zu weit in die intime Privatsphäre der Person eindringt - etwa eine Liebesbeziehung durchleuchtet oder andere private Kontakte, die nichts mit den Ermittlungen zu tun haben. Statt dessen formuliere Paragraf 16 eine schwammige Ausnahme für eine Fortsetzung der Beobachtung: "... soweit die Erhebung aus zwingenden informations- oder ermittlungstechnischen Gründen nicht unterbleiben kann".
  • Die sogenannte "Ausschreibung zur polizeilichen Beobachtung" (Paragraf 21): Werden Daten über beobachtete Personen in Datenbanken gesammelt, erlaubt das aktuelle Gesetz, dass solche Einzeldaten auch für andere Auswertungen genutzt werden können. Zum Beispiel, um daraus abzuleiten, wo und wie sich eine Person aufhält, welche Orte sie aufsucht.

"Bei diesen Punkten sind die Formulierungen im NRW-Gesetz zu weich", sagt Werdermann. Im Gesetz für Mecklenburg-Vorpommern seien diese Punkte sehr ähnlich oder sogar identisch formuliert - und wurden nun für verfassungswidrig erklärt.

Innenministerium: Höchstens wenige Änderungen nötig

Im NRW-Innenministerium will man das so nicht sehen. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts werde gerade ausgewertet, heißt es. Sie sei "sehr umfangreich, und es geht um ausgesprochen komplizierte rechtliche Sachverhalte". Bereits jetzt aber lasse sich sagen, "dass der überwiegende Teil der Beanstandungen, die das Bundesverfassungsgericht zu dem Polizeigesetz des Landes Mecklenburg-Vorpommern ausgesprochen hat, nicht unser Polizeigesetz betreffen".

Das liege daran, dass das NRW-Gesetz in den vergangenen fünf Jahren mehrfach geändert wurde. Dabei sei die "jeweils aktuelle Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur juristisch korrekten Formulierung von Eingriffsnormen, etwa bei der Kommunikationsüberwachung, stets eins zu eins umgesetzt" worden. Änderungsbedarf könne sich eventuell durch neue Anforderungen ergeben, die das Bundesverfassungsgericht erstmals formuliert habe. Deswegen gehen man derzeit davon aus, dass ein sich Änderungsbedarf, wenn überhaupt, "auf wenige Vorschriften und Formulierungen beschränken" werde.

"Landesregierung in der Pflicht"

Polzeiermittlungen: "Grenzen zu weich formuliert" | Bildquelle: dpa / Jan Woitas

Die Juristen sind sich da nicht so sicher. Die von David Werdermann ausgewerteten wörtlichen Vergleiche weisen auf Übereinstimmungen gerade an den sensibelsten Stellen des Gesetzes hin. Auch Staatsrechtler Christoph Gusy von der Uni Bielefeld ist der Überzeugung, dass die NRW Landesregierung nach dem Urteil am Bundesverfassungsgericht nun verpflichtet sei, eine Untersuchung des NRW Polizeigesetzes zu veranlassen. "Geprüft werden muss, ob das Gesetz in allen Passagen verfassungsgemäß ist, ob die Voraussetzungen und Grenzen bei der polizeilichen Ermittlungsarbeit hinreichend klar definiert sind", sagt er, speziell in Passagen, die sich um den "Kernbereich der Persönlichkeit" drehen. Beide Bundesländer, so Gusy, gingen zu weit bei den Befugnissen für Ermittler.

Die Gesellschaft für Freiheitsrechte hatte Mitte 2022 eine Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht erhoben gegen einige neue Passagen des NRW Polizeigesetzes, die die Ausspähsoftware Palantir betreffen. Eine generelle Klage gegen das ganze NRW Polizeigesetz - so, wie im Fall Mecklenburg-Vorpommern - lasse sich nicht mehr erheben, bedauert Werdermann: Das geht immer nur innerhalb eines Jahres nach Inkrafttreten eines neuen Gesetzes. Das NRW Polizeigesetz ist aber in weiten Teilen schon sehr alt. Reformiert wurden unlängst lediglich Abschnitte - wie zum Beispiel die heftig umstrittenen Gesetze zum Versammlungsrecht - oder eben der zum Einsatz von Palantir.

SPD fordert Überprüfung des NRW-Polizeigesetzes

Die sicherheitspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion im NRW-Landtag, Christina Kampmann, sagte dem WDR: "Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Polizeigesetz in Mecklenburg-Vorpommern muss ernst genommen werden." Die Landesregierung forderte sie auf, das Polizeigesetz NRW auf die verfassungsrechtlich beanstandeten Passagen zu prüfen und gegebenenfalls anzupassen.