Emotionaler hätte der Parteitag der NRW-Grünen in der Bielefelder Stadthalle kaum beginnen können. Mit langen Standing Ovations begrüßten die Delegierten ihre Spitzenkandidatin und Landeschefin Mona Neubaur. Die wischte sich Tränen der Rührung aus den Augen.
Und legte dann los: Werbung für den ersten schwarz-grünen Koalitionsvertrag in der Geschichte NRWs. An dem es vorab schon Kritik gegeben hatte.
Kritik und Ablehnung von Grüner Jugend
Die Grüne Jugend hatte schon am Freitag angekündigt, den Koalitionsvertrag abzulehnen. Er sei in seiner Gesamtheit keine Antwort auf die aktuellen Krisen, sagte ihr Sprecher Rênas Sahin dem WDR. So reichten etwa die Klimaschutzmaßnahmen nicht, um das 1,5-Grad-Ziel einzuhalten.
Schon im Wahlkampf hatte die Grüne Jugend gemeinsam mit den Jusos für ein rot-grünes Bündnis geworben. Entsprechend kritisch hatten die jungen Politiker die Sondierungen und Verhandlungen in den letzten Wochen begleitet. Immer wieder forderten sie Nachbesserungen, etwa mehr Investitionen für den Bau von Sozialwohnungen, und etablierten den Hashtag #ohnemich in den Sozialen Medien. Ihre Kernforderungen: eine Mietpreisbremse und ein günstiges Azubi-Ticket für NRW.
Am Samstagabend dann der Höhepunkt ihrer kritischen Auseinandersetzung: die geschlossene Ablehnung. Dafür musste die Grüne Jugend aber selbst auch einiges an Kritik einstecken. „Erstmal besser machen“, konterten einige Delegierte in ihren Debattenbeiträgen.
Brandbrief von Landtagsabgeordneten
Doch auch von Landtagsabgeordneten gab es Kritik. Am Freitagabend kursierte ein Brandbrief von sechs Grünen-Politikern, die die Trennung der Ressorts „Umwelt“ und „Landwirtschaft“ kritisieren.
Umwelt und Naturschutz gehören in der nächsten Legislaturperiode zum grün-geführten Verkehrsministerium von Oliver Krischer. Um die Landwirtschaft hingegen wird sich die CDU kümmern. Eine Neuheit im Vergleich zu vorherigen Regierungen.
Zu den Unterzeichnern des Briefes gehört auch der landwirtschaftspolitische Sprecher der Grünen-Fraktion im Landtag, Norwich Rüße. Er sagte dem WDR, die Entscheidung sei vor allem „fachlich falsch“. Die Landwirtschaft müsse ihren Beitrag zum Umwelt- und Artenschutz beitragen, doch wichtige Instrumente dazu seien nun nicht mehr in der Hand der Grünen.
Neubaur: Klimaschutz für zukünftige Generationen
Spitzenkandidatin und Landeschefin Mona Neubaur wusste um die Stimmung im Saal, als sie in ihrer Rede vor allem Herzensthemen der Grünen aus dem Koalitionsvertrag herausgriff. So betonte sie, dass der Klimaschutz jetzt so angelegt sei, dass er „die Freiheitsräume zukünftiger Generationen“ schütze, etwa mit der stufenweisen Abschaffung der 1.000-Meter-Abstandsregel von Windrädern zu Wohnsiedlungen.
Aber auch in Sachen Bildung und Schule sei den Grünen viel gelungen: „Jedes Kind ist in jeder Schulform willkommen“ – Inklusion, ein weiteres Herzensthema der Grünen. Ebenso wie die Absenkung des Wahlalters auf Landesebene auf 16 Jahre. Für diese Punkte gab es großen Applaus.
Lange Debatte – und ein bisschen stolz drauf
Doch Applaus bekommen auch immer wieder die Kritiker des Koalitionsvertrags. Gut vier Stunden debattieren die Grünen. Dass die CDU ihren parallel stattfindenden Parteitag hingegen nach gut einer Stunde mit einem klarem „Ja“ zur neuen Regierung beendet, wird in der Bielefelder Stadthalle eher belächelt. Das Gefühl, betont anders als die CDU zu sein, scheint vielen zu gefallen.
Doch so laut und präsent die Kritiker am Nachmittag auch wirken, sie können sich am Ende nicht durchsetzen. 85 Prozent der Delegierten stimmen für eine Regierung mit der CDU. Auffällig: Es sind vor allem die jungen Delegierten, die ablehnen.
Landeschefin Mona Neubaur ist mit dem Ergebnis mehr als zufrieden – aber auch mit dem Weg, wie es zustande gekommen ist. Dem WDR sagt sie nach der Debatte, dass das nicht ihre Partei wäre, wenn kein Platz für Kritik und Debatten wäre.
Grüne wählen neuen Landesvorstand
Für Sonntagvormittag steht die Wahl eines neuen Landesvorstands bei den Grünen an. Die bisherigen Vorsitzenden, Mona Neubaur und Felix Banaszak, treten nicht wieder an. Neubaur wird Chefin des neu zugeschnitten Ministeriums für Wirtschaft und Energie und wohl stellvertretende Ministerpräsidentin der ersten schwarz-grünen Regierung in NRW.
Banaszak war im September in den Bundestag eingezogen. Hier will er sich, nach eigener Aussage, in den nächsten Jahren verstärkt einbringen. Neben den Grünen hat auch die CDU auf ihrem Landesparteitag in Bonn dem Koalitionsvertrag zugestimmt.
Weg frei für Wiederwahl von Ministerpräsident Wüst
Sechs Wochen nach der Landtagswahl ist somit der Weg frei für die erste schwarz-grüne Landesregierung Nordrhein-Westfalens. Die Wiederwahl von Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU), der bislang Regierungschef einer schwarz-gelben Koalition ist, steht am Dienstag im Landtag praktisch nichts mehr im Weg.