Beim Wahlrecht geht es immer auch um die Macht. Darum gibt es Streit um die von der Ampelkoalition verabschiedete Reform des Bundestagswahlrechts. Bald wird hierzu eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts erwartet, nachdem CSU und Linke gegen das Gesetz geklagt hatten. In NRW gibt es nun ebenfalls handfesten Krach ums Wahlrecht.
Am Mittwoch stimmt der Landtag über geplante Änderungen beim Kommunalwahlrecht ab. Im Herbst 2025 werden in den nordrhein-westfälischen Kommunen neue Bürgermeister, Landräte und Gemeindevertretungen gewählt. Nicht weniger als ein "kommunalpolitisches Beben" erwartet die FDP. Sie ist sauer, denn die Fraktionen von CDU, SPD und Grünen wollen nach Lesart der Liberalen eine Wahlrechtsreform durchsetzen, die "kleine Parteien systematisch und massiv benachteiligt".
Was sich beim Kommunalwahlrecht ändern soll
Konkret geht es um eine geplante Änderung bei der Berechnung der Sitzverteilung in den Räten und Kreistagen: Vorgesehen ist - nach Informationen aus Fraktionskreisen eine Idee der Grünen - ein "Quotenverfahren mit prozentualem Restausgleich". Was technisch und bürokratisch klingt, soll laut CDU, SPD und Grüne "extreme Verzerrungen der Sitzzuteilung" reduzieren.
Das bisher bei NRW-Kommunalwahlen übliche "Divisorverfahren mit Standardrundung nach Sainte-Laguë" hatte eher zugunsten kleiner Parteien und Wählergruppen gewirkt. Wer rechnerisch nur einen Anspruch auf einen halben Sitz hatte, profitierte regelmäßig von einer Aufrundung auf einen ganzen Sitz. Wer sich noch tiefer einlesen will: es geht um den "Idealanspruch" im Verhältniswahlrecht.
Warum diese Reform zum jetzigen Zeitpunkt?
Die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung billige dem Gesetzgeber "bei der Wahl des Sitzzuteilungsverfahrens einen gewissen Ermessensspielraum zu, da jedes Sitzzuteilungsverfahren Vor- und Nachteile aufweise und in jedem Verfahren zwangsläufig Reststimmen unberücksichtigt blieben", heißt es von CDU, SPD und Grünen zur Begründung. Schwarz-Grün hatte die größte Oppositionsfraktion SPD für die Reform ins Boot geholt.
Fragen wirft der Zeitpunkt der Reform auf. Die Zersplitterung der Parteienlandschaft schreitet voran - zuletzt etwa bei der Europawahl auch in NRW zu beobachten. Die Neuregelung lässt sich als Versuch deuten, es den größeren Parteien etwas leichter zu machen, in bunt zusammengesetzten Kommunalvertretungen Mehrheiten und Bündnisse zu bilden. Wenn es eng wird, kann ein Ratssitz mehr oder weniger entscheidend sein. Auf kommunaler Ebene gibt es keine Fünf-Prozent-Hürde.
"Machtkartell" oder "gerechterer Erfolgswert"?
Die Pläne dienten "nur den Interessen der antragsstellenden Fraktionen", rügt FDP-Fraktionschef Henning Höne. Die Änderungen erschwerten es, ein Mandat zu bekommen und eine Fraktion zu bilden: "Es droht ein politisches Machtkartell in NRW". Die Liberalen fordern, dass der Gesetzentwurf zurückgezogen wird. Der SPD-Abgeordnete Justus Moor kontert, zu der Reform habe es "ausführliche gutachterliche Untersuchungen gegeben". Die Sachverständigen hätten bestätigt, dass das Verfahren "zu einem gerechteren Erfolgswert der Stimmen führt".
Man beseitige die derzeitige "Bevorzugung insbesondere der Kleinst- und Splitterparteien", sagt der Grünen-Kommunalexperte Robin Korte. Es gehe darum, die "Chancengleichheit" zu stärken, sagt der CDU-Landtagsabgeordnete Heinrich Frieling.
Die FDP hingegen hat ausrechnen lassen, dass allein die CDU landesweit 184 Kommunalsitze mehr erreicht hätte, wenn das neue Wahlrecht bereits zur letzten Kommunalwahl 2020 eingeführt worden wäre. Auch bei SPD (84 Sitze mehr) und Grünen (51 Sitze) steht demnach ein Plus - bei FDP (minus 95), Linken (minus 64), AfD (minus 29) und Kleinparteien (minus 131) deutliche Verluste.