So soll sich NRW an den Klimawandel anpassen

Stand: 01.10.2024, 18:59 Uhr

Mit einer neuen Strategie will sich NRW für die Folgen des Klimawandels rüsten. Bis 2029 sollen 110 Maßnahmen umgesetzt werden.

Von Peter HildRainer Striewski

Ob Hitze in Köln oder Starkregen im Münsterland: "Das, was wir jetzt erleben, ist nur der Anfang dessen, was auf uns zukommt." Sonderlich optimistisch klang NRW-Umweltminister Oliver Krischer (Grüne) auf der Pressekonferenz nicht. Er mahnte dabei deutlich: "Die Klimakrise kommt." Jetzt müssten wir mit den Folgen umgehen. Und die sind gewaltig: Laut einer Studie im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums können die durch den Klimawandel entstehenden wirtschaftlichen Kosten bis zum Jahr 2050 nur in Deutschland bei 280 bis 900 Milliarden Euro liegen.

110 Maßnahmen gegen die Klimakrise

Das Land hat deshalb ein Strategiepapier beschlossen, das Kommunen, Unternehmen, aber auch alle Menschen in NRW dabei unterstützen soll, sich vor den Folgen des Klimawandels schützen zu können. Diese "Klimaanpassungsstrategie" enthält insgesamt 110 Maßnahmen, die bis 2029 umgesetzt werden sollen. Sie gliedern sich in 16 Bereiche mit den Schwerpunkten Mensch, Umwelt, Planung und Bau sowie Wirtschaft. Im Fokus stehen dabei vor allem der Hochwasser- und Hitzeschutz. 

Dazu zählen etwa die Wiederherstellung von Moorflächen, der Schutz der Verkehrsinfrastruktur vor Hochwasser - aber auch ganz konkret Trinkwasserbrunnen in den Städten oder die Förderung von Gründächern.

Beispiel Essen: grüne Stadt gegen die Hitze

Denn in den Städten sind vor allem die versiegelten Flächen ein Problem, also Böden, die betoniert, asphaltiert, mit Pflastersteinen bedeckt oder mit Gebäuden bebaut sind. Die Stadt Essen versucht deshalb, mit Brunnen, grünen Dächern und sogar künstlichen Seen für Abkühlung in der Stadt zu sorgen. Die Seen wurden in einem 13 Hektar großen Areal angelegt, das zwischen 2011 und 2016 entwickelt wurde. Sie füllen sich nur durch das Regenwasser von den umliegenden Gebäudedächern. Auf einer Gesamtfläche von 11.000 Quadratmetern wird der Niederschlag gesammelt und fließt dann in die Becken, statt einfach in der Kanalisation zu versickern.

Beispiel Leichlingen: unterirdische Auffangbecken

Auch die Stadt Leichlingen sammelt Regenwasser, allerdings nicht in künstlichen Seen, sondern in unterirdischen Regenauffangbecken und Versickerungsanlagen. Hier soll das Regenwasser von den umliegenden Dächern und Parkplätzen eingeleitet werden. Im Sommer kann daraus dann das städtische Grün bewässert werden.

Beispiel Gelsenkirchen-Horst: Stadtteil soll klimarobuster werden

Die Stadt Gelsenkirchen baut gleich einen ganzen Stadteil um: Gelsenkirchen-Horst soll sich in den nächsten fünf Jahren zu einem Stadtteil entwickeln, der gut auf die Folgen des Klimawandels vorbereitet ist. Hier soll zum Beispiel der zentrale Ilse-Kibgis-Platz entsiegelt werden und mehr Bäume bekommen. Außerdem plant die Stadt dort eine neue Kita, untergebracht in einem komplett klimagerechten Gebäude. Das Projekt "Klimarobustes Horst" gehört zum Wettbewerb "Prima.Klima.Ruhrmetropole." des Landes NRW. Dabei sollen bis 2029 insgesamt 15 Wohnquartiere in der Region umgebaut und damit zu Vorbildern für andere Quartiere werden.

Viele weitere Städte planen Maßnahmen

Auch viele andere Städte in NRW haben bereits Maßnahmen gegen extreme Hitze, Dürre oder Überflutungen ergriffen. Eine bundesweite Umfrage unter 400 Kreisen und kreisfreien Städten hatte letztes Jahr ergeben, dass einige Kommunen schon sehr weit sind - andere nicht:

Die Klimakrise werde immer mehr zur Belastung für die Umwelt, die Gesundheit der Menschen, die Infrastruktur und die Lebensmittelproduktion, betonte Umweltminister Krischer bei der Vorstellung des Strategiepapiers - und zählte auf: "Von 2018 bis 2020 und 2022 erlebte Nordrhein-Westfalen vier Dürresommer mit Ernteausfällen, dramatischen Waldschäden und historischen Tiefständen der Gewässer, 2021 ein katastrophales Hochwasser."

Das Extreme ist das neue Normal. NRW-Umweltminister Oliver Krischer (Grüne)

Bereits heute sind nach Angaben des Landesamtes für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz (LANUV) in den dicht besiedelten Gebieten NRWs 6,9 Millionen Menschen von Hitzebelastung betroffen. Bis 2050 sollen es bis zu elf Millionen Menschen werden. Seit 1881 hat sich nach Angaben des LANUV die mittlere jährliche Lufttemperatur in NRW bereits von 8,4 Grad auf 10 Grad erhöht.

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Regionen NRWs unterschiedlich betroffen

Die dicht besiedelten Gebiete entlang von Rhein und Ruhr zählen bereits zu den wärmsten Regionen Deutschlands. Laut eines LANUV-Berichts zur "Klimaentwicklung und Klimaprojektionen in Nordrhein-Westfalen" wird hier künftig auch der Temperaturanstieg am deutlichsten ausfallen.

In den Mittelgebirgsregionen wird demnach die Gefahr von Sturzfluten sowie Bodenerosionen bis hin zu abrutschenden Hängen steigen. Im Münsterland und Ostwestfalen-Lippe bestehe hingegen bei längeren Trockenperioden die Gefahr, dass es zu Einschränkungen bei der Wasserversorgung kommen könnte.

"Wenn keine weiteren Anstrengungen unternommen werden, erwarten wir nach jetzigem Stand einen Anstieg auf etwa 3 Grad Celsius bis zum Ende des Jahrhunderts gegenüber vorindustrieller Zeit", mahnte LANUV-Präsidentin Elke Reichert.

BUND: "Haben noch einen ganz weiten Weg vor uns"

"Wenn man sich die letzten Ereignisse anschaut, dann darf man vermuten, dass die Klimawandelfolgen uns eher härter treffen werden als bisher vorhergesagt", betont auch Thomas Krämerkämper vom BUND NRW. Allerdings fehle es in den Kommunen häufig an der Verbindlichkeit von Maßnahmen, kritisiert Krämerkämper. So würden zwar zum Beispiel Hochwasserschutzpläne in vielen Kommunen aufgestellt, bei der konkreten Bebauungsplanung aber dann auch ignoriert.

Grund sei hier unter anderem die Kostenfrage bzw. das Setzen von anderen Prioritäten. "Da wird das Thema Wohnbaubedarf für wichtiger erklärt als der Hochwasser- oder Bodenschutz", so Krämerkämper. Entsprechend pessimistisch fällt sein Fazit zum Stand der Kommunen bei der Klimaanpassung aus: "Da haben wir noch einen ganz weiten Weg vor uns."

Kommunen wünschen sich bessere Förderprogramme

Zu wenig Personal in den Rathäusern? | Bildquelle: picture alliance / ZB

Die Kommunen sehen sich hingegen insgesamt auf einem guten Weg. Der politische Wille sei im Grundsatz da, betonte Peter Queitsch vom Städte- und Gemeindebund NRW. Hindernisse wären oft die mangelnde Verfügbarkeit von Grundstücken für Schutzmaßnahmen, aber auch eine zu dünne Personaldecke in den Rathäusern. Er fordert etwa Förderprogramme ohne große Bürokratie. Die würden dann auch in Anspruch genommen, so Queitsch.

Drei mögliche Entwicklungen für NRW

In dem im August vorgestellten LANUV-Bericht "Klimaentwicklung und Klimaprojektionen in Nordrhein-Westfalen" werden drei mögliche Entwicklungen beschrieben: Beim "Klimaschutz-Szenario" etwa gehen die Wissenschaftler davon aus, dass alle Ziele des Pariser Klimaschutz-Abkommens rechtzeitig verwirklicht würden. Dann rechnen sie mit einer globalen Erderwärmung bis Ende des Jahrhunderts von nur 0,9 bis 2,3 Grad.

Beim schon eher möglichen "Moderaten Szenario" rechnen die Wissenschaftler noch mit einer Erwärmung von ungefähr 2,4 Grad. Am schlimmsten bzw. wärmsten wird's allerdings beim dritten Szenario, dem "Weiter-wie-bisher-Szenario". Das beschreibt, wie sich die Erwärmung entwickeln würde, wenn die Menschheit weiter so viel CO2 in die Atmosphäre pustet wie im Moment. Und an diesem Szenario sollten sich allein aus Vorsorgegesichtspunkten alle Akteure orientieren, so LANUV-Präsidentin Reichert.

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In diesem "Weiter-wie-bisher"-Szenario erwartet das LANUV zum Ende des Jahrhunderts durchschnittlich 28 heiße Tage mit Temperaturen über 30 Grad pro Jahr in NRW. Zum Vergleich: In der Periode 1991 bis 2020 waren es laut LANUV nur acht Tage pro Jahr. Tropennächte mit mehr als 20 Grad Celsius, die bislang nur alle ein bis zwei Jahre auftraten, dürften sich demnach auch vervielfachen und mehrmals im Jahr auftreten.

Kritik an Plänen der Landesregierung

Die SPD-Opposition im Düsseldorfer Landtag bezeichnete Krischers 110-Maßnahmen-Katalog hingegen als "ambitionslos". "Aus der Lose-Zettel-Sammlung der schwarz-grünen Landesregierung hat Minister Krischer eine Liste voller Buzzwords gemacht", erklärte René Schneider, umweltpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion. So gehe etwa die Versiegelung des Landes ungebremst weiter. "Auch bei der direkten Unterstützung für Städte und Gemeinden sieht die Finanzplanung nicht mehr Geld als zuletzt vor", so Schneider.

Unsere Quellen:

  • Pressekonferenz mit Umweltminister Oliver Krischer (Grüne)
  • Strategiepapier der Landesregierung
  • Pressekonferenz LANUV NRW
  • Klimaatlas NRW