Clankriminalität - ein Thema, das die Landesregierung seit Jahren vor sich her treibt. Es geht um Geldwäsche, Sozialhilfebetrug, Raub, Steuerhinterziehung, Erpressung, Zwangsarbeit und schwerer Körperverletzung.
Im Juni schien die Lage in NRW eine neue Dimension zu erreichen: Tagelang hielten Massenschlägereien zwischen Libanesen und Syrern die Polizei im Ruhrgebiet in Atem. Innenminister Herbert Reul (CDU) sprach angesichts der beteiligten Syrer von einer "neuen Konfliktpartei" bei der Clan-Kriminalität.
Die Landesregierung steht bei dem Thema unter Druck. Am Montag hatte das Innenministerium NRW daher zu einem "Internationalen Kongress zur Bekämpfung der Clankriminalität" nach Düsseldorf geladen. Experten unter anderem aus den Niederlanden und Schweden, aber auch von der Fahndungsbehörde Europol berichteten, wie man andernorts mit dem Problem umgeht.
Gespräche mit Clanoberhäupter in Schweden
Laut Europol kämpfen derzeit 19 EU-Staaten mit Clankriminalität - wobei es offenbar keine feste Definition dieses Begriffs gibt. Im Umgang mit dem Problem unterscheiden sich die betroffenen Länder erheblich. So hat die schwedische Polizei seit geraumer Zeit die Strategie, direkt in die Brennpunktgebiete zu gehen und mit den Clanoberhäuptern zu sprechen. Man wolle so tiefere Einblicke in die Strukturen der kriminellen Gruppen bekommen, erläuterten Vertreter der schwedischen Ermittlungsbehörden in ihrem Vortrag. Diese Taktik war bislang in NRW keine Option, da die Polizei fürchtet, damit falsche Signale zu senden: Nämlich, dass man die Machtstrukturen der Clans anerkenne.
NRW-Innenminister Reul zeigte sich nach den ersten Vorträgen beeindruckt: Er sei überrascht gewesen, wie präzise die schwedischen Kollegen die Entstehung der Clankriminalität in ihrem Land beschreiben konnten "und wie konsequent die auch vorgehen". Auch, dass in den Niederlanden Ermittlungsbeteiligte ohne Rücksicht auf Datenschutz miteinander vernetzt würden, fand Reul beachtlich.
Lagebild Clankriminalität: Zunahme der Straftaten
Im August hatte die Landesregierung das "Lagebild Clankriminalität" für das Jahr 2022 vorgelegt. Demnach seien 6.573 Straftaten mit Clanbezug registriert worden, eine Steigerung um 20,3 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Ein Drittel der Taten seien Rohheitsdelikte und Straftaten gegen die persönliche Freiheit, dazu kämen Fälschungen, Vermögensbetrug und Diebstähle. Gut die Hälfte der Tatverdächtige hätten die deutsche Staatsangehörigkeit, rund 16 Prozent die syrische und gut 13 Prozent die libanesische.
Grüne zweifeln Zahlen an
Die Grünen in der Landesregierung kritisieren diese Statistik als "unscharf". Sie basiere auf dem sogenannten "namensbezogenen Ansatz", sagte Julia Höller, innenpolitische Sprecherin der Grünen Landtagsfraktion, am Montag dem WDR. Wer eine Straftat begeht - ob Raub oder Schwarzfahren in der Bahn - und einen Nachnamen trägt, den die Ermittler auch mit Clans in Verbindung bringen, lande automatisch in der Statistik Clankriminalität. "Der Anstieg der Zahlen muss daher genau untersucht werden" so Höller.
Für die Grünen ist das eine weiterer Spagat in Regierungsverantwortung. Als Oppositionspartei hatten sie das Vorgehen der damaligen CDU/FDP-Regierung beim Thema Clankriminalität oft scharf kritisiert. Es sei unstrittig, dass der Staat gegen schwere Straf- und Gewalttaten konsequent vorgehen müsse, stellte Höller klar. Man sei sich aber einig, "dass wir diese Straftaten möglichst gut ermitteln müssen". Allein das Analyseinstrument des "namensbasierten Ansatzes" sei dabei nicht ausreichend. "Wir müssen aufpassen, dass wir damit nicht eine Menge Menschen stigmatisieren, die eben nicht kriminell sind."
Reul: Werden so weitermachen
Innenminister Reul sieht da weniger ein Problem: "Lasst uns doch nicht über Namen streiten, wir müssen in der Sache weiterkommen", sagte er dazu am Montag. Keiner bezweifle, dass es "Kriminalität gibt, die auf Familienstrukturen zurückzuführen ist, wo der Patriarch sagt, wie es zu laufen hat. Den Rest, den klären wir." Man sehe das Risiko bei dieser Methode, "aber solange es keinen besseren Vorschlag gibt, werden wir so weitermachen".
Zwischen 2014 und 2021 haben sie sich allein über 450.000 Euro an Sozialhilfeleistungen erschlichen. Die Ermittlungen laufen bereits seit 2019. 2021 hatte die Polizei dann zugeschlagen und die Villa gestürmt und durchsucht. Dabei war sie auf scharfe Schusswaffen und 360.000 Euro Bargeld gestoßen.
Hotspots in Essen, Recklinghausen und Gelsenkirchen
Die Landesregierung setzt vor allem auf eine "Politik der tausend Nadelstiche", mit denen man versuche, die Clans in ihren Strukturen "systematisch zu stören", heißt es beim Innenministerium. Im Jahr 2022 seien im Rahmen von 615 Razzien über 1.570 Objekte kontrolliert worden, darunter Shisha-Bars, Restaurants, Spielhallen und Wettbüros. Fast ein Viertel davon seien "unmittelbar durch die Behörden geschlossen" worden - unter anderem wegen fehlender Konzessionen, aufgrund von Hygienemängeln oder wegen baurechtlicher Mängel.
Die meisten Straftaten im Bereich der Clankriminalität seien im Ruhrgebiet mit Schwerpunkten in Essen, Recklinghausen und Gelsenkirchen registriert worden.