Am Mittwoch empfängt Kanzler Olaf Scholz (SPD) die Länderchefs zum Flüchtlingsgipfel. Die Kommunen, die sich vor Ort um die Probleme kümmern, sind nicht dabei. Vorab gewinnt der Streit um die Kosten der Hilfen für Geflüchtete an Schärfe. In Papieren arbeiten sich Bund und Länder aneinander ab. Der Streit dreht sich zunehmend grundsätzlicher um die finanzielle Lastenverteilung im Staat. Klar ist: Am Ende kommt das Geld vom Steuerzahler.
Warum der Bund nicht mehr zahlen will
Die Ausgangslage: Für 2023 hat der Bund den Ländern 2,75 Milliarden Euro für Geflüchtete aus der Ukraine sowie allgemeine flüchtlingsbezogene Ausgaben zugesagt. Zudem rechnet der Bund für 2023 mit eigenen Ausgaben in Höhe von 15,6 Milliarden Euro - vor allem für Sozialleistungen von Flüchtlingen.
Bislang will die Bundesregierung nicht mehr zahlen. In einem Papier verweist der Bund auf seine milliardenschwere Hilfen, die er trotz des Haushaltsdefizits leiste - während Länder und Kommunen Überschüsse verzeichneten.
Länder wollen "atmende" Finanzierung durch Bund
Ein Papier der Bundesländer, das dem WDR vorliegt, versucht sich an einer Widerlegung des Bundes-Papiers. So sei der Steueranteil des Bundes weitaus größer als der der Länder. Auch bei den Berechnungsgrundlagen der unterschiedlichen Hilfen sind Bund und Länder uneins.
Mit Blick auf den Flüchtlingsgipfel fordern die Länder stetige Finanzhilfen vom Bund - und nicht wie bisher Zuschüsse, Zusagen und Ad-hoc-Hilfen. Sie verlangen die volle Kostenerstattung für Unterkunft und Heizung für Geflüchtete sowie eine allgemeine monatliche Pro-Kopf-Pauschale für die Unterbringung und Versorgung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Zudem soll eine verlässliche Lösung für Integrationskosten sowie die Kosten für unbegleitete Flüchtlinge her.
"Es bedarf eines Finanzierungsmodells, das der Höhe nach angemessen ist und sich verändernden Flüchtlingszahlen anpasst (atmendes System)", heißt es im Papier. Die vom Bund zugesagten Gelder würden den steigenden Flüchtlingszahlen nicht gerecht.
Wüst erwartet "langwierige Verhandlungen"
Laut Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) bekommt NRW nach den bisherigen Beschlüssen in diesem Jahr 600 Millionen Euro vom Bund. "Wir geben allein an die Kommunen 1,8 Milliarden Euro weiter. Wir haben Gesamtaufwendungen von 3,7 Milliarden Euro." Er fordert eine "fifty-fifty"-Verteilung der Lasten zwischen Bund und Ländern. Das würde demnach für NRW eine gute Milliarde zusätzlich vom Bund bedeuten. Wüst gibt sich vor dem Gipfel in Berlin "verhalten optimistisch", erwartet aber "langwierige Verhandlungen".
Marc Herter, SPD-Interimschef in NRW sagt, der Bund pumpe bereits viel Geld in die Kommunen. Vom Land gebe es dagegen zu wenig Unterstützung, kritisiert der Oberbürgermeister von Hamm. Die Regierung Wüst habe Versprechen nicht eingehalten. So wolle das Land nur die Hälfte der Unterbringungsplätze für Flüchtlinge im Vergleich zu 2015/16 zur Verfügung stellen.
NRW-Flüchtlingsministerin Josefine Paul (Grüne) indes fordert den Bund - und damit die Ampel-Regierung, an der ihre Partei beteiligt ist - auf, sich zu bewegen. Sie kritisiert sogar eine "Blockadehaltung" des Bundes und unterstützt die finanziellen Forderungen Wüsts.
Flüchtlingsrat NRW: Ablenken von Versäumnissen
Birgit Naujoks vom Flüchtlingsrat NRW kann die Forderung von Ländern und Kommunen an den Bund nachvollziehen. Aber dadurch werde auch "von eigenen Versäumnissen abgelenkt", sagt sie und kritisiert den Abbau von Unterkunftsplätzen für Geflüchtete in NRW. Seit der Flüchtlingskrise 2015/16 sei die Anzahl der Standardplätze auf etwa 20.000 runtergefahren worden.
"Insgesamt haben wir derzeit mit Notunterkünften etwa Platz für 30.000 Menschen. Das Land selbst hat eine Kapazität von 34.500 als Ziel ausgegeben", sagt Naujoks. In den Kommunen gebe es auch positive Beispiele von Städten wie Haltern, Minden und Wuppertal, die sich vorbereitet haben auf einen möglichen Anstieg der Geflüchtetenzahlen. "Dort kommen Geflüchtete oft in Wohnungen unter – und nicht in Turnhallen", lobt Naujoks.
"Beim Flüchtlingsgipfel sollten die Belange der Geflüchteten im Vordergrund stehen, und nicht finanzielle Fragen an erster Stelle", fordert Naujoks. Und sie warnt auch davor, Ukraine-Kriegsflüchtlinge gegen Geflüchtete aus anderen Ländern auszuspielen. Auch Pro Asyl fürchtet eine "stärkere Abschottung" und "mehr Druck auf Geflüchtete" wegen des aktuellen Finanzstreits.