Das Ziel der Landesregierung ist ehrgeizig: Nordrhein-Westfalen will bis 2045 die erste klimaneutrale Industrieregion Europas werden. Wirtschafts- und Klimaschutzministerin Mona Neubaur (Grüne) stellte dazu am Montag die neue "Energie- und Wärmestrategie NRW" vor.
Der Plan beschreibt den Weg bis zur Klimaneutralität und listet rund 100 Maßnahmen dazu auf. Unter anderem diese:
- Auf Bundesebene will sich NRW für Strompreisentlastungen einsetzen, besonders für energieintensive Unternehmen, aber auch für den Mittelstand und Privatpersonen.
- Der Ausbau von E-Ladeinfrastruktur für Privatpersonen und Unternehmen soll erleichtert werden - durch schnellere Genehmigungsprozesse in Gewerbegebieten und entlang von Fernverkehrsstraßen. Außerdem plant das Land Förderangebote für Vermieter und Arbeitgeber.
- "Erschließungs- und Hochlaufstrategien" für erneuerbare Wärmequellen etwa im Bereich Geothermie oder Abwasserwärme.
- Antrieb des Ausbaus Erneuerbarer Energien, unter anderem durch Ausweitung der möglichen Flächen für Windenergie und Freiflächen-Photovoltaik im Landesentwicklungsplan und den Regionalplänen. Im Fokus stehen dabei Strom und Wasserstoff. Strom soll vor allem aus Windkraft und Photovoltaik kommen. Schon bis 2030 will die Landesregierung die Stromproduktion insgesamt auf mindestens 34 Gigawatt verdoppelt haben.
- Bessere Rahmenbedingungen und Unterstützung für Vorhaben zum Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft.
- Genehmigungsverfahren für Energieinfrastrukturen sollen beschleunigt werden, zum Beispiel durch Zusammenlegung von verschiedenen Zuständigkeiten innerhalb solcher Genehmigungsprozesse.
„ Windkraftausbau kommt voran“
NRW hatte zuletzt beim Ausbau der Windenergie an Tempo zugelegt: Mit 61 neuen Windrädern im ersten Halbjahr 2024 lag das Land im Bundesländer-Vergleich auf Platz eins. 43 Prozent mehr Leistung wurden dabei installiert als im gleichen Zeitraum 2023. Vor gut zwei Wochen wurde in Oberhausen die bislang wohl größte Elektrolyse-Anlage in Deutschland eingeweiht.
50 Forderungen an den Bund
Ziel der 143 Seiten starken Energie- und Wärmestrategie sei, dass NRW 2045 unabhängig von fossilen Energieträgern sei, sagte Neubaur. Sie enthält insgesamt rund 100 Maßnahmen, die das Land umsetzen will und 50, die an Bund oder EU gerichtet sind. So habe das Land beispielsweise keinen direkten Einfluss auf die Strompreise - an den Bund gerichtet sei daher die Forderung nach Zuschüssen für Verbraucher.
Zwar soll Wasserstoff als grüner Energieträger künftig eine zentrale Rolle spielen - die Produktionsmengen in NRW würden aber auch in absehbarer Zukunft besonders für die Industrie bei weitem nicht ausreichen. NRW bleibe daher ein Importland für Wasserstoff, zum Beispiel aus Belgien, den Niederlanden, Dänemark oder Schottland.
Um Wohnungen und Häuser auch künftig warm zu bekommen, sieht der Plan den weiteren Ausbau der Fernwärmenetze vor. "Es wird aber keinen Fernwärmezwang geben", betonte Neubaur.
Wärmepumpe für viele Eigentümer noch Riesenproblem
Eine zentrale Rolle sollen weiterhin auch Wärmepumpen spielen. Schon jetzt würden sie bei Neubauten vor allem in Vororten zahlreich verbaut, berichtete Neubaur. Dennoch stehen Millionen Besitzer von mehrgeschossigen Mietshäusern in den Innenstädten vor einem schier unlösbaren Problem: Eine Wärmepumpe schafft es nicht, ein ganzes mehrgeschossiges Haus zu beheizen. Zudem müssten die Eigentümer sehr viel Geld in die Hand nehmen, um ein solches Haus mit anderen Technologien und der nötigen Wärmedämmung aufzurüsten.
Auch Energieberater, Heizungsexperten und Schornsteinfeger kennen dieses Dilemma. Eine wirkliche Antwort auf die Frage, welche Lösung es hier für Eigentümer geben könnte, hatte die Ministerin aber nicht.
Frage der Finanzierung
Rückendeckung bekam sie zum einen vom Geschäftsführer des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft NRW, Holger Gassner. Er gratuliere der Landesregierung zur Energie- und Wärmestrategie, sie berücksichtige alle notwendigen Aspekte. Zu klären sei allerdings noch die Finanzierung vieler Maßnahmen, damit alle Akteure wirklich mitziehen. Gassner schlug einen "Energiewendefonds" für Stadtwerke und Unternehmen vor.
Außerdem mahnte er Tempo bei der Entwicklung und dem Ausbau von Energiespeichern an, damit die Versorgung durch erneuerbare Energien gesichert sei, "auch wenn Sonne oder Wind gerade nicht da sind". Gassner forderte eine neue "mutige Genehmigungskultur", da Bürokratie und mühsame Zulassungsverfahren derzeit eher zunähmen als weniger würden.
Eine Mitarbeiterin des Ministeriums erklärte dazu: Man analysiere derzeit auf allen Ebenen, wo es bei Genehmigungsprozessen hake und sei dabei auch im Kontakt mit Industrieunternehmen.
Andreas Hollstein, Geschäftsführer des Verbands kommunaler Unternehmen (VKU) NRW, lobte den Energieplan ebenfalls sehr. Doch auch er wies noch auf eine zusätzliche To-do-Liste hin: Bei flächendeckend verbauten dezentralen Wärmepumpen brauche es beispielsweise neue Stromnetze und Umspannwerke.
Details erst in der Zukunft klären
Ministerin Neubaur beschrieb die "Energie- und Wärmestrategie NRW" als dynamisch: Man wisse heute nicht, welche "wirtschaftlichen und technischen" Innovationen die kommenden Jahre bringen. Daher könne das Werk noch nicht alle Details regeln. Für 2030 seien aber konkrete Zwischenziele definiert, die in ihrer Entwicklung bis dahin beobachtet würden.
Kritik von SPD und BUND
Die SPD im Landtag ließ nicht lange auf Kritik warten: "Das bloße Auflisten von Zielen ist kein Konzept und macht noch keine Strategie aus", sagte André Stinka, wirtschaftspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Landtag. Wirtschaftsministerin Neubaur versuche, "ihren Mangel an konkreten Vorhaben zu kaschieren, indem Maßnahmen formuliert werden, die ohnehin laufen oder die kaum etwas kosten". Als Beispiel nannte Stinka "Informationsbereitstellungen" und Beratungen.
Auch der Bund für Umwelt und Naturschutz äußerte sich kritisch. Viele der vorgesehenen Maßnahmen, wie etwa der Ausbau der erneuerbaren Energien, seien nur bedingt zügig umsetzbar, wenn die Bevölkerung nicht mitgenommen werde, teilte der Landesverband NRW in Düsseldorf mit. Die an vielen Stellen angeführte Notwendigkeit der Beschleunigung von Genehmigungsverfahren dürfe keinesfalls mit einem weiteren Abbau von Beteiligungsrechten und Umweltstandards einhergehen.