Gegen das Bürgergeld: Kämpft Wüst bald auf einsamem Posten?

Stand: 03.11.2022, 14:03 Uhr

Die CDU-regierten Länder im Bundesrat stemmen sich bislang gegen das geplante Bürgergeld, mit dabei ist NRW-Ministerpräsident Wüst. Doch zu Hause in NRW scheint die Unterstützung seiner harten Linie zu bröckeln.

Von Nina Magoley

Auf viele gemeinsame Beschlüsse konnten sich die Länder mit dem Bund am Mittwoch einigen. Beim Bürgergeld allerdings sind die Fronten nach wie vor verhärtet. Die Bundesregierung will, dass das Bürgergeld ab 1. Januar 2023 die bisherige Grundsicherung Hartz IV ersetzen soll – mit höheren Regelsätzen und weniger Sanktionen für Arbeitslose als bisher. In den ersten beiden Jahren des Bezugs sollen Wohnung und Erspartes so besser geschützt sein.

Wüst sieht zu wenig Anstrengung bei Leistungsempfängern

"Für Sozialleistungen anstrengen": Hendrik Wüst | Bildquelle: IMAGO/Fotostand / Reuhl

Für einen Beschluss müsste die Mehrheit der Bundesländer dem Gesetz zustimmen. In den CDU-regierten Ländern aber stoßen besonders die geplanten Erleichterungen für Arbeitslose auf Widerstand. Auch NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) hält bislang an seiner Blockadehaltung fest. Es sei nicht gerecht, "dass Menschen auf Kosten derer, die fleißig arbeiten gehen, ziemlich lange nicht mitwirken müssen" – so hatte Wüst seine Ablehnung bereits mehrmals begründet. Es habe sich bewährt, "wenn Menschen sich ein Stück weit anstrengen müssen, wenn sie Sozialleistungen bekommen".

Wüsts Worte hatten bei Sozialverbändem, aber auch bei den Oppositionsparteien im Landtag bereits für helle Empörung gesorgt. Auf Antrag der SPD stand das Thema deshalb am Donnerstag in einer "Aktuellen Stunde" noch einmal zur Diskussion. Die CDU fahre derzeit eine "Desinformationskampagne ohne Gleichen", schimpfte SPD-Fraktionschef Thomas Kutschaty. Ministerpräsident Wüst schüre mit seinen Aussagen einen gefährlichen Sozialneid. "Wer sich christlich nennt, sollte sich für solch eine Kampagne schämen", rief Kutschaty in die Reihen der CDU-Abgeordneten.

CDU: Keine Handhabe mehr gegen Clans

Doch gleich der erste Redebeitrag der CDU konnte den Eindruck erwecken, dass die Ablehnung des Bürgergeldgesetzes bei Wüsts Weggefährten eher bröckelt. Grundsätzlich sei eine Reform des Hartz IV-Gesetzes notwendig, räumte der Abgeordnete Marco Schmitz ein, das habe die Union "nie in Frage gestellt". Verbesserungswürdig sei zum Beispiel die Lage der Aufstocker: Menschen, die zwar Arbeit haben, dabei aber so wenig verdienen, dass sie zusätzlich Hartz IV beziehen müssen "und trotzdem am Ende kein Geld für Klassenfahrt der Kinder haben" – weil sie einen Teil ihrer Einkünfte wieder abgeben müssen. Hier müsse die Zuverdienstgrenze deutlich angehoben werden, sonst fehle der Anreiz, überhaupt noch eine Arbeit aufzunehmen.

Auch beim von der CDU kritisierten Schonvermögen räumte Schmitz ein, dass es wohl nur wenige Arbeitslose mit dickem Sparkonto gebe. Dennoch nehme ein erhöhtes Schonvermögen dem Staat die Möglichkeit, zum Beispiel "den Clans ihr Geld wegzunehmen".

Für die FDP nahm die ehemalige Schulministerin Yvonne Gebauer die Rolle der Mahnenden in Richtung CDU ein. "Wir wünschen uns Gespräche statt Blockaden", sagte Gebauer, und appellierte dann dringlich an den Sozialminister Karl-Josef Laumann (CDU): "Ich setze hier bewusst auf Sie!" Laumann habe im Bundesrat schon viele positive Elemente des Bürgeld-Gesetzes gewürdigt – anders offenbar als Ministerpräsident Wüst mit seinen harten Formulierungen. Es gelte unbedingt, den von Wüst bereits angesprochenen Vermittlungsausschuss zu vermeiden, warnte Gebauer, "zum Wohle der Bürger".

Laumann: Gewerkschaften sollen für bessere Löhne sorgen

Der angesprochene Sozialminister Laumann zeigte sich denn auch milde: Die Regelsatzerhöhung sei "in Ordnung, sie muss kommen". Der von Wüst reklamierte, zu geringe "Lohnabstand" zwischen Bürgergeldempfängern und Geringverdienern sei allerdings ein Problem – das sich aber vor allem durch eine stärkere Tarifbindung mit faireren Löhnen lösen ließe. "Wir haben in Deutschland zu viele Bereiche, wo wir keine Tariflöhne hinkriegen." Ein Grund dafür sei, so Laumann, dass sich immer weniger Arbeitende in Gewerkschaften zusammentun würden.

"Nachdenken" müsse man beim Bürgergeld-Gesetz auch über die Regelung zu Karenzzeiten, in denen arbeitslos Gewordene nicht um ihr Erspartes oder die Wohnung fürchten müssen. Wer 20 Jahre Steuern gezahlt habe, müsse in der Karenzzeit "anders behandelt werden" als jemand, der noch nicht so lange gearbeitet hat, so der CDU-Mann.

CDU-Koalitionsparner Grüne werben für Bürgergeld

Künftig bessere Stimmung im Jobcenter? | Bildquelle: dpa/Jens Kalaene

Und auch die Grünen, immerhin Koalitionspartner der CDU, gehen den harten Blockade-Kurs des Ministerpräsidenten nicht mit. Das Bürgergeld-Gesetz sei "eine der größten sozialpolitischen Errungenschaften", sagte Jule Wenzel, Sprecherin der Grünen für Sozialpolitik. Die Erhöhung des Regelsatzes auf 502 Euro sei ein wichtiger Schritt, müsse aber angesichts der anhaltenden Preissteigerungen fortgesetzt werden. Wenzel sprach von einem "vertrauensvollen Umgang" mit Arbeitslosen, der künftig zu einem positiven "Paradigmenwechsel" in den Jobcentern führen könnte. Auch Jugendliche aus prekären Familien können künftig endlich mehr von ihrem Geld aus Schülerjobs profitieren, "mal ins Kino gehen, auf den Führerschein oder eine eigene Wohnung sparen", lobte sie.

Koalition will sich nicht treiben lassen

Anders, als bei anderen Themen, wo die Grünen in NRW bereits bittere Kompromisse zugunsten des Regierungspartners CDU machen mussten, scheint die Partei beim Bürgergeld nicht von ihrem Kurs abweichen zu wollen. Wie die Koalition da zu einer gemeinsamen Position kommen will, ist offen. Dennoch: An die SPD gewandt rief Wenzel am Ende ihrer Rede: Deren "Versuch, uns als Koalition mit dieser Aktuellen Stunde treiben zu wollen", sei durchsichtig und werde "ins Leere laufen". Denn es sei in dieser Koalition "selbstverständlich dass wir bei Vorhaben, bei denen wir unterschiedlicher Auffassung sind, das auch aushalten hier im Parlament und konstruktiv die beste Lösung suchen".

DGB: Wüst soll Widerstand aufgeben

Insgesamt scheint sich nach dieser Diskussion im Parlament der Eindruck zu erhärten, dass sich zumindest in NRW die Unions-Blockade beim Bürgergeld vor allem in der Person des Ministerpräsidenten manifestiert. Die Äußerungen Wüsts zum Bürgergeld seien "inakzeptabel", erklärte Anja Weber, Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) NRW. "Statt notwendiger Unterstützung wird eine Sozialneiddebatte vom Zaun gebrochen." Es sei ein "uraltes und schon immer falsches Märchen von der sozialen Hängematte", mit dem Wüst mitten in der Krise versuche, Beschäftigte und Arbeitslose gegeneinander auszuspielen. "Das ist zynisch und sozial unverantwortlich", so Weber. Sie appellierte direkt an Ministerpräsident Wüst, seine Blockadehaltung aufzugeben.