Selten wurde so viel über die Möglichkeiten künstlicher Intelligenz (KI) gesprochen wie in den letzten Wochen und Monaten. Nutzer überfluten die Sozialen Netzwerke mit Porträts, die aussehen wie für Hollywood in Szene gesetzt - aber erstellt wurden von KI-Systemen und entsprechenden Apps.
ChatGPT schreibt eigenständig Text
Gleichzeitig macht der Chat-Bot ChatGPT von sich reden. Ein KI-System, das Fragen beantwortet - auf Wunsch aber auch komplette Hausarbeiten oder Referate erstellt, wovon immer mehr Schüler nur zu gerne Gebrauch machen. Im US-Bundesstaat New York sind an Schulen und Hochschulen die Zugänge zum kostenlosen Chat-System ChatGPT3 blockiert - um Missbrauch und Schummelei zu verhindern.
Es ist augenscheinlich: KI-Systeme entwickeln sich nicht nur rasant - sie verändern auch die Gesellschaft. Nicht nur Schüler und Studenten machen sich die neuen Möglichkeiten zunutze, um auf Knopfdruck veritable Texte zu erstellen. Längst ist auch eine Diskussion entbrannt, welche Bedeutung solche Inhalte generierende KI-Systeme für Kunst, Kultur und Arbeitswelt haben.
Arbeitsplätze in Gefahr
Denn ChatGPT kann auch einfache Texte erstellen, die sonst Journalisten schreiben würden. Oder brauchbare PR-Texte, eine Domäne von Werbetextern. Alle, die Texte schreiben, müssen Konkurrenz befürchten. Ebenso alle, die Skizzen, Grafiken, Cartoons oder illustrative Bilder erstellen, denn auch diese Aufgaben kann heute KI übernehmen.
Vor allem KI-Systeme von OpenAI. Ein US-Unternehmen, das die Möglichkeiten von Künstlicher Intelligenz ausloten soll - und genau das auch intensiv macht. Digitalminister Volker Wissing hatte vergangene Woche das aktuell angesagte Unternehmen besucht, das vor allem durch Microsoft und Elon Musk finanziert wird.
Microsoft will 10 Mrd. Dollar in KI investieren
Wie Insider berichten, plant Microsoft derzeit, weitere zehn Milliarden Dollar in OpenAI zu investieren. Nach gut unterrichteten Quellen denkt der Konzern darüber nach, seine Suchmaschine "Bing" mit KI aufzurüsten - oder mittelfristig sogar ganz durch KI zu ersetzen. Grund genug für Platzhirsch Google, anlässlich der Bedrohung durch ChatGPT "Alarmstufe rot" ausruzufen.
Das Tempo der Entwicklung ist enorm. Gerade erst hat Microsoft ein KI-System vorgestellt, das mühelos die Stimme von so ziemlich jedem Menschen imitieren kann. Dem System namens Vall-E reichen danach schon drei Sekunden gesprochener Text aus (Audiomaterial), um so ziemlich alles mit der Stimme und der Intonation der Person zu sagen. Es soll eine perfekte Nachahmung möglich sein.
Laut Microsoft erzeugt die "Neural Codec Language" schon jetzt "hochqualitative, personalisierte Sprache", die nach ersten Experimenten "bisherige Systeme in Bezug auf die Natürlichkeit der Sprache und die Ähnlichkeit der Sprecher deutlich übertrifft."
Missbrauchspotenzial bei Sprachsynthese
Microsoft ist es offensichtlich bewusst, dass diese KI Missbrauchspotenzial enthält. Schließlich könnte damit jeder so ziemlich jeden alles sagen lassen - und es klänge echt. Der Programmcode von Vall-E steht der Öffentlichkeit derzeit nicht zur Verfügung. Außerdem heißt es ganz offiziell, es gebe ein "ein potenzielles Risiko für den Missbrauch des Modells, etwa das Austricksen einer Stimmerkennung oder das Nachahmen eines bestimmten Sprechers."
Daher wolle das Unternehmen zusätzlich ein Prüfmodell bauen, das erkennen kann, ob es sich bei einer Audio-Datei um eine Originalstimme oder ein Vall-E-Audio handelt
Volker Wissing will keine Regulierung
Digitalminister Volker Wissing (FDP) jedoch hat sich nach seiner USA-Reise gegen "zu strenge Regulierung von Systemen mit künstlicher Intelligenz" ausgesprochen, die vor allem "auf Eindämmung oder Verbot ausgerichtet ist." Seine größte Sorge sei, dass es auf europäischer Ebene eine Mehrheit geben könne, die glaubt, durch Verbote die Anwendung von KI-Systemen einschränken zu können.
Wissing: "Künstliche Intelligenz werde sich sehr schnell und massiv im Alltag der Menschen etablieren".
Zweifellos. Das macht eine Regulierung allerdings umso dringlicher.
Über den Autor
Jörg Schieb, Jahrgang 1964, ist WDR-Digitalexperte und Autor von 130 Fachbüchern und Ratgebern. Er beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der Digitalisierung und deren Auswirkungen auf unseren Alltag.