Nach dem Terroranschlag bei Moskau sind mittlerweile Haftbefehle gegen vier Verdächtige erlassen worden. In Frankreich gilt im Zusammenhang mit dem Anschlag jetzt die höchste Terrorwarnstufe. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) erklärte am Montag, dass die Gefahr durch den IS auch in Deutschland akut bleibe. Ähnlich äußerte sich das NRW-Innenministerium auf WDR-Anfrage. Fragen und Antworten zum Terroranschlag in Russland und den Verbindungen mit NRW.
Wer hat sich zu dem Anschlag in Moskau bekannt?
Die Terror-Organisation "Islamischer Staat" (IS) hat die Gewalttat bei Moskau auf verschiedenen Telegram-Kanälen für sich reklamiert, vor allem auf solchen, die der Ableger "Islamische Staat Provinz Khorasan" (ISPK) nutzt. Das sagt unter anderem der Terrorismusexperte Peter Neumann vom King's College London. Auch die komplexe Ausführung mit Waffen und Sprengstoff spreche für den IS. Außerdem habe die US-Botschaft in Moskau die eigenen Staatsangehörigkeiten schon seit zwei Wochen vor einem möglichen Anschlag auf Konzerte in Moskau gewarnt.
Gibt es weitere Verdächtige für den Terroranschlag?
Der Kreml nutzt den Anschlag auch als Propagandamittel im Krieg gegen die Ukraine. Nach Angaben des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB sollen die mutmaßlichen Täter Kontakt in die Ukraine gehabt haben. Sie wollten demnach nach dem Anschlag die Grenze zur Ukraine überqueren. Vier Verdächtige wurden in der Grenzregion festgenommen.
Beweise legte der Kreml aber nicht vor. Allerdings vermuten auch die deutschen Sicherheitsbehörden, dass zahlreiche Islamisten in der Ukraine gelebt haben und nach Ausbruch des Krieges nach Deutschland - vor allem nach NRW - gekommen sind. Dazu später mehr.
Insgesamt wurden bis Sonntagabend elf Verdächtige festgenommen. Gegen vier hat ein Gericht in Moskau am Sonntagabend die ersten Haftbefehle erlassen.
"Vor dem Gerichtstermin waren Videoaufnahmen im Netz verbreitet worden, die zeigen sollen, dass die festgenommenen Männer gefoltert wurden und einem von ihnen gar ein Ohr abgeschnitten wurde. Ob die Aufnahmen authentisch sind, ließ sich nicht unabhängig überprüfen", heißt es bei tagesschau.de.
Was ist der ISPK?
Während die Terror-Organisation IS ihren Ursprung in Syrien und Irak hat, kommt der Ableger ISPK aus Afghanistan. Der sogenannte "Islamische Staat Provinz Khorasan" rekrutiert schon länger Kämpfer in zentralasiatischen Staaten der ehemaligen Sowjetunion, vor allem in Tadschikistan. Zuletzt sind aber auch Kirgisen, Usbeken und Turkmenen als Terrorverdächtige festgenommen worden.
Der ISPK ist schon länger die aktivste Gruppe des IS und scheint es vor allem auf Ziele in Europa abgesehen zu haben.
Welche Rolle spielt der ISPK in NRW?
Die Sicherheitsbehörden konnten Anschläge auf den Kölner Dom rund um Weihnachten und Silvester des vergangenen Jahres verhindern. Kämpfer, die dem ISPK zugerechnet werden, wollten offenbar Menschen mit Hilfe von Autos töten. Der Dom war wochenlang von schwer bewaffneten Polizisten bewacht worden.
Mehrere Männer wurden festgenommen, zuletzt im Januar in Duisburg, Herne und Nörvenich im Kreis Düren. Bereits Heiligabend hatte die Polizei einen Tadschiken in Wesel festgenommen.
Schon im Sommer 2023 hatte der Generalbundesanwalt sieben Männer aus Tadschikistan und Kirgisistan in NRW verhaften lassen, unter anderem in Düsseldorf, Gelsenkirchen und im Kreis Warendorf. Sie sollen hier eine terroristische Vereinigung gegründet und den ISPK unterstützt haben.
Konkrete Anschlagspläne sollen die Männer noch nicht gehabt haben, sie sollen aber bereits potentielle Ziele ausgespäht haben. Außerdem sollen sie versucht haben, sich Waffen zu besorgen. Offenbar gab es also eine oder mehrere aktive Terrorzellen in Nordrhein-Westfalen.
Wie kamen die Männer nach NRW?
Die Sicherheitsbehörden vermuten, dass die Männer ursprünglich in der Ukraine aktiv waren und dann - nach Ausbruch des Krieges - im Frühjahr 2022 nach Deutschland gekommen sind und sich hier zu einer terroristischen Vereinigung zusammengeschlossen haben.
Schon vor einem Jahr hatte der Chef des Verfassungsschutzes vor einem Erstarken der Gruppe ISPK in Deutschland gewarnt. Erst in der vergangenen Woche sind zwei Afghanen in Gera in Thüringen festgenommen worden, die einen Anschlag in Stockholm geplant haben sollen. Terrorverdächtige waren zuletzt auch in Wien und den Niederlanden festgenommen worden. Offenbar gibt es also ein europaweites Netzwerk.
Bald ist EM - welche Gefahr geht vom ISPK für NRW aus?
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hat zur Fußball-EM im Sommer zeitweilige Kontrollen an allen deutschen Grenzen angekündigt. "Wir werden während des Turniers an allen deutschen Grenzen vorübergehende Grenzkontrollen vornehmen, um mögliche Gewalttäter an der Einreise hindern zu können", sagte Faeser der "Rheinischen Post" vom Dienstag. Im Fokus stehe der Schutz vor Islamisten und anderen Extremisten, vor Hooligans und anderen Gewalttätern sowie die Sicherheit der Netze vor Cyberangriffen.
NRW wird bei der EM eine zentrale Rolle spielen. Allein 20 von 51 Spielen finden hier statt, außerdem werden fünf Mannschaften ihr Quartier in NRW aufschlagen.
Das NRW-Innenministerium erklärte am Montag auf WDR-Anfrage: Schon vor dem Anschlag in Moskau habe das Ministerium das Gefährdungs- und Bedrohungspotential des "Islamischen Staates Provinz Khorasan (ISPK)" als "abstrakt hoch" eingestuft.
Innenminister Herbert Reul (CDU) hatte erst kürzlich im Innenausschuss des Landtags berichtet, dass die Terrorgefahr durch Islamisten sehr hoch sei und dabei ebenfalls explizit den ISPK genannt.
Die Gruppe rekrutiere Einzeltäter oder Kleingruppen, die dann gegen sogenannte weiche Ziele, also zum Beispiel Großveranstaltungen, eingesetzt würden, so Reul. Dazu zählten auch Sportereignisse wie eine Europameisterschaft. Der Anschlag jetzt in Moskau passt in dieses Muster.
Für die Polizei NRW gilt während des Turniers eine Urlaubssperre. Die zentrale polizeiliche Koordinierungsstelle für das gesamte Turnier wird in Neuss eingerichtet. Dort werden auch Polizisten aus den anderen Teilnehmernationen und die Geheimdienste arbeiten und Lagebilder erstellen, die dann allen Sicherheitsbehörden in ganz Deutschland zur Verfügung gestellt werden.
Eine Rolle wird auch die potenzielle Abwehr von Drohnen spielen. Details wollte ein Vertreter des Innenministeriums im Ausschuss nicht nennen.
Unsere Quellen:
- Pressemitteilung des Generalbundesanwalts
- Nachrichtenagentur dpa
- Tagesschau.de
- Terrorismusexperte Peter Neumann im WDR-Interview
- Spiegel.de
- Kurznachrichtendienst X (ehemals Twitter)
- Protokoll des NRW-Innenausschusses
- NRW-Innenministerium auf WDR-Anfrage