Bettina Rühl berichtet seit fast drei Jahrzehnten aus und über Afrika. Seit 2011 lebt sie als freie Korrespondentin in Nairobi. Für ihre Arbeit wurde sie mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Preis für die Freiheit und Zukunft der Medien, dem Prix Europa und mit dem Bundesverdienstkreuz. Wir haben mit ihr über die Konsequenzen des jüngsten Staatsstreichs in Gabun gesprochen.
WDR: Frau Rühl, bedeutet der Putsch in Gabun einen dauerhaften Regimewechsel für das Land?
Bettina Rühl: Ich kann mir derzeit nur schwer ein Szenario vorstellen, wie dieser Putsch noch scheitern könnte. Eine Gruppe von hochrangigen Militärs hat mittlerweile gemeinsam im nationalen Fernsehen verkündet, wer der neue Präsident sein soll. Nämlich Brice Oligui Nguema, ein Cousin des gestürzten Präsidenten und bisher Chef der Republikanischen Garde. Hinter ihm stehen Vertreter aller wichtigen Teile der Armee und Sicherheitskräfte. Ich sehe nicht, wer Ali Bongo noch zurück ins Amt verhelfen sollte.
WDR: Was geht uns dieser Putsch an, hier in Europa?
Rühl: Spätestens seit dem Beginn des zweiten Ukraine-Kriegs ist auf dem afrikanischen Kontinent vieles im Umbruch. Bis zu diesem Zeitpunkt hat Europa ganz selbstverständlich Afrika als seinen politischen Einflussbereich betrachtet. Genau diese Selbstverständlichkeit gibt es jetzt nicht mehr. Das bisherige Regime in Gabun war ja mit Frankreich durch und durch verwoben. Viele afrikanische Staaten wollen sich nicht mehr auf einen weltpolitischen Block festlegen. Oder sie entscheiden sich offen für Russland.
WDR: Abgesehen von der geopolitischen Dimension: Könnte der Putsch in Gabun auch direkte wirtschaftliche Auswirkungen auf uns haben?
Rühl: Gabun produziert am Tag knapp 200.000 Barrel Erdöl, exportiert das aber in erster Linie nach China, Indien und Südkorea, Spanien steht erst an fünfter Stelle. Für die Versorgung mit Erdöl in Europa dürfte der Putsch also keine große Rolle spielen. Anders könnte sich das bei Mangan darstellen, das in der Stahlproduktion und bei der Herstellung von Lithium-Batterien gebraucht wird, das importiert Europa zu einem guten Teil aus Gabun.
Für Frankreich könnte der Coup spürbare Folgen haben, weil rund 100 französische Firmen in der ehemaligen Kolonie präsent sind, darunter das Bergbau-Unternehmen Eramet. Wenn sich die anti-französische Stimmung verschärft, könnte das für das Unternehmen unangenehm werden.
WDR: An wem wird sich Gabun künftig orientieren?
Rühl: Der Putsch bedeutet nicht zwangsläufig, dass sich die Militärs gegen Europa und für Russland aussprechen. In Guinea ist auch eine Militärregierung an der Macht, die weiter mit Frankreich und Europa kooperiert. Aber die Karten werden neu gemischt: Wir können nicht sagen, wie es ausgeht.
WDR: Könnte die neue Situation im Niger oder auch in Gabun Auswirkungen auf die Flüchtlingszahlen haben?
Rühl: Gabun hat als relativ wohlhabendes Land bisher Arbeitskräfte aus anderen Ländern der Region aufgenommen, beispielsweise aus Mali. Ob Gabun unter der Militärregierung an Stabilität verliert, muss sich zeigen - viel schlechter als die Regierungsführung des Bongo-Clans kann es allerdings kaum werden. Sollte Gabun im Chaos versinken, würden vielleicht weniger Arbeitskräfte kommen, mehr Gabuner abwandern wollen - aber das ist erst einmal spekulativ.
Was Niger angeht: Das Land ist mit Sanktionen belegt, die Regierung hat die Grenzen geschlossen. Dadurch steigen die Preise, die wirtschaftliche Situation in dem Land, das ohnehin zu den weltweit ärmsten gehört, wird immer schwieriger. Da kann es natürlich sein, dass Menschen, die das bisher nicht vorhatten, darüber nachdenken, nach Europa zu fliehen.
WDR: Der Eindruck ist: Der Westen gilt in vielen afrikanischen Ländern nicht als Partner, sondern immer noch als Verwalter postkolonialer Unrechtssysteme. Richtig?
Rühl: Für diese Wahrnehmung gibt es gute Gründe. Schon Omar Bongo, Vater des jetzt gestürzten Präsidenten, war ein Machthaber von Frankreichs Gnaden. Dass sich die Bongo-Dynastie seitdem öbszön bereichert hat - das hat weder in Frankreich noch sonstwo in Europa zu spürbaren Protesten geführt. Jeder wusste, dass Gabun in Wirklichkeit eine Scheindemokratie ist. Der Westen hat an dieser Fassade nicht gekratzt.
WDR: Ist die lange Reihe von Staatsstreichen in Afrika in jüngster Zeit nur Zufall? Oder deutet das auf eine Einflussnahme von außen hin?
Rühl: Zufall würde ich nicht sagen, weil ich in vielen Ländern eine ähnliche Stimmung beobachte: Die Bevölkerung hat die Nase voll von den alten Eliten und den seit Jahrzehnten zementierten post-kolonialen Strukturen. Diese Stimmung können sich Militärs in verschiedenen Ländern für ihre Narrative zunutze machen. Geschürt wird die anti-westliche Stimmung durch Falschmeldungen in den sozialen Netzwerken, und die mögen zum Teil in russischen Trollfabriken produziert worden sein - aber die gegenwärtigen Umbrüche als Ergebnis von Propaganda oder äußerer Einmischung abzutun, geht an der Sache vorbei.
Die Fragen stellten Uwe Schulz und Andreas Poulakos.
Das Interview aus dem "Morgenecho" von WDR 5 wurde für die Online-Version sprachlich bearbeitet und um weitere Fragen ergänzt.