Jetzt ist es offiziell. Das Jahr 2024 war nicht nur das weltweit wärmste seit dem Beginn der Wetteraufzeichnungen 1851. Die durchschnittliche Temperatur lag auch über 1,5 Grad Celsius, also genau der Marke, die laut dem Pariser Klimaabkommen 2015 möglichst nicht überschritten werden sollte.
Was bedeutet das Verfehlen dieses Ziels für den Klimaschutz? Ein Gespräch mit dem Klimaforscher und Politik-Fachmann Niklas Höhne vom New Climate Institute in Köln.
WDR: Herr Höhne, das 1,5-Grad-Ziel wurde 2024 erstmals gebrochen. Was genau bedeutet das jetzt für die Zukunft des Klimaschutzes?
Niklas Höhne: Um das zu sagen, muss man die verschiedenen Dimensionen dieses Ereignisses betrachten. Ja, die Temperatur im vergangenen Jahr lag weltweit im Durchschnitt um mehr als 1,5 Grad über der Temperatur von vor der Industrialisierung. Im Klimaabkommen von Paris ist dieses Ziel aber sehr vage formuliert. Dort heißt es, dass die Temperatur weit unter zwei Grad begrenzt werden sollte, wenn möglich unter 1,5. In welchem Zeitraum diese Marke eingehalten werden sollte, ist aber nicht genauer definiert.
WDR: Wieso ist das relevant?
Höhne: Das Ziel, niemals die 1,5 Grad zu überschreiten, haben wir verfehlt. Aber wir könnten noch schaffen, dass die Temperatur im langjährigen Mittel, also dem Durchschnittswert von 30 Jahren, nicht über 1,5 Grad steigt. Im langjährigen Mittel liegt die Erderwärmung gerade bei 1,3 Grad.
WDR: Also sollte die Menschheit jetzt nicht ihre Bemühungen einstellen?
Höhne: Auf keinen Fall. Das ist die andere Dimension, die man sehen muss. Die Copernicus-Daten sind ein Weckruf, dass wir jetzt erst recht mehr in den Klimaschutz investieren müssen. Denn solange wir weiter CO2 emittieren, steigt auch die Temperatur weiter, weil sich die Atmosphäre ja mit den Treibhausgasen anreichert. Je schneller wir bei null Emissionen sind, desto niedriger ist die Temperaturerhöhung.
WDR: Aber ist das überhaupt möglich?
Höhne: Das hoffe ich! Es geht schließlich um das blanke Überleben unserer Gesellschafft. Das hat uns das vergangene Jahr zur Genüge gezeigt. Oder nehmen wir die aktuellen Brände in Los Angeles. Die sind nicht mehr beherrschbar. Genauso wenig wie es die Überflutungen in Valencia waren.
WDR: Hoffen ist eine Sache. Aber entdecken Sie denn auch Zeichen, dass es gelingen könnte?
Höhne: Ja, denn man darf nicht übersehen, dass massiv gegengesteuert wird. Die erneuerbaren Energien werden schneller ausgebaut als man dachte, auch bei uns in Deutschland. Vor allem Solarenergie nimmt immer mehr zu. Es gibt aber auch immer mehr und leistungsstärkere Windkraftanlagen.
WDR: Aber bringt es etwas, wenn wir in Deutschland die erneuerbaren Energien ausbauen, während China so viel CO2 ausstößt wie noch nie?
Höhne: Natürlich schaffen wir es nur, wenn weltweit alle Nationen mitmachen. Aber auch in China werden die Erneuerbaren massiv ausgebaut. Das Land hat aller Voraussicht nach 2024 den Höhepunkt seiner Treibhausgas-Emissionen gehabt. 2025 werden diese niedriger ausfallen. Auch weil China im Verkehrssektor viel macht. Jedes zweite Auto, das dort verkauft wird, ist mittlerweile eine E-Auto.
WDR: Was ist mit anderen großen Industrie-Nationen, wie zum Beispiel den USA? Dort wird am 20. Januar Donald Trump als Präsident vereidigt, der alles andere als ein Klimaschützer ist.
Höhne: Das stimmt, aber auch er wird den Ausbau von erneuerbaren Energien nicht mehr stoppen können. Schon allein, weil die Preise für Strom aus Erneuerbaren immer weiter sinken werden.
WDR: Reicht das auch, um immer mehr Menschen zu klimabewussterem Handeln zu bewegen?
Höhne: Nicht allein. Es ist wichtig, dass der Klimaschutz weg von dem Image kommt, immer mit Verboten zusammen zu hängen, und mehr als Chance begriffen wird. Die Politik muss zeigen, dass die damit verbundenen Veränderungen alle zum Guten sind. Nicht nur, dass Energie günstiger wird. Wenn wir unseren Strom aus Wind und Sonne beziehen, brauchen wir weniger oder irgendwann keine fossilen Energieträger mehr. Das macht uns unabhängig von Despoten und Schurkenstaaten, von denen wir Öl und Gas beziehen. Wenn wir den ÖPNV ausbauen und unsere Städte grüner gestalten, kommen wir entspannter zur Arbeit und unsere Städte werden lebenswerter.
WDR: Sie haben die Politik angesprochen. Auch in Deutschland wird in eineinhalb Monaten gewählt …
Höhne: … und die Menschen können durch ihr Kreuz auf dem Wahlzettel entscheiden, wie es mit dem Klimaschutz weitergeht. Wenn man sich die Wahlprogramme der Parteien anschaut, sieht man deutliche Unterschiede, vor allem in der Wichtigkeit, die sie dem Thema beimessen. Nur eine Partei, die dem Klimaschutz Priorität gibt und den Wählern und Wählerinnen gegenüber ehrlich ist, kann auch etwas erreichen.
WDR: Inwiefern ehrlich?
Höhne: Klimaschutz hängt mit vielen Faktoren zusammen. Unter anderem mit sozialer Gerechtigkeit. Wer mehr Klimaschutz will, muss auch dafür sorgen, dass die Menschen, die weniger vermögend sind und durch die Maßnahmen überproportional belastet werden, einen Ausgleich bekommen. Gleichzeitig sollten den Menschen keine Lösungen vorgegauckelt werden, die nicht sinnvoll sind und das Klimaproblem nicht lösen. Zum Beispiel die Rückkehr zur Atomkraft.
WDR: Wie viel könnte denn eine Partei, selbst wenn sie die Wahl klar gewinnt, erreichen?
Höhne: Der Klimawandel ist Aufgabe der ganzen Gesellschaft. Und auch in der Politik funktioniert es nur, wenn die demokratisch gewählten Parteien die Herausforderungen gemeinsam angehen. Die Partei, die gewinnt, muss die anderen mitnehmen.
Das Interview führte Jörn Kießler.
Über das Thema berichtet der WDR am 10. Januar 2025 auch im Fernsehen: Aktuelle Stunde, 18.45 Uhr.