KOLUMNE

Danke Deutschland!

Stand: 27.05.2022, 06:00 Uhr

In was für eine Welt werden unsere Kinder heute geboren? Elterngeld, gesetzliche Krankenversicherung, kostenlose Bildung. Liz Shoo sagt, das ist leider nicht selbstverständlich.

Von Liz Shoo

Heute ist mein letzter Arbeitstag in diesem Jahr. Anfang Juli erwarte ich mein zweites Kind. Deshalb bin ich ab morgen in Mutterschutz. Um diese bezahlte Auszeit kann mich meine beste Freundin nur beneiden. Sie lebt in den USA und dort heißt es für viele Frauen: Arbeiten bis die Wehen kommen. Denn in den USA haben schwangere Frauen nicht das Privileg des bezahlten Mutterschutzes vor und nach der Geburt des Kindes.

Wenn mein Baby erstmal da ist, geht die Auszeit weiter. Natürlich nur die berufliche. Ich wurde schon ein paar Mal von Kollegen gefragt, wie lange ich zu Hause bleiben möchte. Die Antwort: Ein Jahr lang. Die Reaktionen darauf finde ich manchmal amüsant. "Was, so lange?" Ja, warum denn nicht? Für ein Jahr werden bei mir Nachrichtenthemen in den Hintergrund rücken. Statt Koalitionsverhandlungen, Kohleausstieg und Krieg wird sich alles um volle Windeln, Schlaferziehung und Milchstau drehen.

Und obwohl ich in dieser Zeit nicht arbeite, bekomme ich trotzdem Geld: Mütter wie ich können ein Jahr lang Elterngeld in maximaler Höhe von 1.800 Euro pro Monat bekommen. Wie toll ist das denn? Im selbsternannten besten Land der Welt, den USA, gehen viele Mütter schon wenige Monate nach der Geburt wieder zurück an den Arbeitsplatz.

Der finanzielle Druck und die Angst, den Job zu verlieren, sind groß. Da geht es uns in Deutschland doch viel besser: Hier hat man als Angestellte sogar bis zu drei Jahre nach der Geburt das Recht auf den Arbeitsplatz. Liz Shoo

Keine Schulden durch Kranksein

In letzter Zeit habe ich oft darüber nachgedacht, in was für eine Welt mein Kind geboren wird, in was für einem Land es aufwachsen wird. Denn im Moment gibt es viele beunruhigende Entwicklungen: Der Krieg in der Ukraine, der Klimawandel und die Corona-Pandemie. Doch gerade durch die Pandemie ist mir nochmal bewusst geworden, dass wir in einem Land mit einem gut funktionierendem Gesundheitssystem leben. Ein System, das allen, unabhängig vom Einkommen, zugänglich ist. Ich kann jederzeit einen Krankenwagen rufen, der innerhalb von zwölf Minuten bei mir sein und mich oder mein Kind ins Krankenhaus fahren muss. Kostenlos. Anders als in den USA hinterfragen wir als Patienten, vor allem als gesetzlich Versicherte, selten die Kosten der Behandlungen in Praxen und Krankenhäusern. In Deutschland gibt es kein böses Erwachen, weil man nach einer OP oder einer Corona-Behandlung im Krankenhaus einen Millionenbetrag in Rechnung gestellt bekommt.

Ist das Gesundheitssystem perfekt? Natürlich nicht! Bis jetzt scheint es keine Lösung gegen Personalmangel in Krankenhäusern zu geben. Egal ob im Kreißsaal oder in anderen Bereichen - Pflegende sind am Limit und werden auch noch schlecht bezahlt.

Das muss sich schnell ändern. Wir haben ein Solidarsystem, in das alle einzahlen. Und diese Milliarden sollten effizienter eingesetzt werden. Zudem brauchen Menschen im ländlichen Raum dringend mehr Ärzte und in der Stadt, wo ich ein höheres Angebot an Spezialisten und Spezialistinnen hab, bringt das große Angebot wenig, wenn ich bei der Orthopädin oder dem Dermatologen Wochen oder sogar Monate für einen Termin brauche.

Bildung, die man sich leisten kann

In den nächsten Jahren wird das Thema Schule bei uns in der Familie eine zentrale Rolle spielen. Was für ein Glück, dass ich nicht schon jetzt darauf sparen oder gar einen Kredit für Schulgeld aufnehmen muss. Vor allem in ärmeren Ländern müssen viele Kinder zu Hause bleiben, weil sich ihre Eltern die Schulgebühren einfach nicht leisten können. Deshalb finde ich es großartig, dass meine Steuergelder für sowas Sinnvolles wie Bildung eingesetzt werden. In Deutschland zahlt man sogar für ein Bachelor-Studium an öffentlichen Hochschulen so gut wie nichts. Auch ich habe damals davon profitiert.

In NRW fallen aktuell pro Semester rund 300€ an Beiträgen an. Diese beinhalten die Kosten für ein Semesterticket - gültig im kompletten ÖPNV in NRW - und einen Sozialbeitrag fürs Studierendenwerk. Da schauen sogar Studierende und Eltern in anderen Industriestaaten neidisch zu uns rüber. Denn laut einer OECD-Studie zahlt man für ein Bachelor-Studium in Großbritannien im Schnitt um die 12.000 Dollar pro Jahr, in den USA sind es gut 9.000 Dollar und in Australien ist man bei rund 5.000 Dollar jährlich.

Eine große finanzielle Herausforderung im Studium sind in Deutschland allerdings die Lebenshaltungskosten. Mieten steigen, das Wohnungsangebot wird immer knapper. Vor der Pandemie haben sich zum Beispiel beim Studierendenwerk Köln 10.000 Studierende auf nur 3.000 verfügbare Plätze in Studierendenwohnheimen beworben.

Die neue Bundesregierung muss dringend für ausreichend günstige Wohnungen für Studierende und Azubis sorgen. Ich finde es wichtig, dass die Ampelkoalition mit der BAföG-Reform junge Menschen finanziell unterstützen möchte. Doch bereits jetzt gibt es Kritik, dass die neuesten Beitragserhöhungen aufgrund der Inflation nicht reichen werden.

Geld vom Staat, auch ohne Job

Und wenn wir schon beim Geld sind: Deutschland ist das viertreichste Land der Welt. Die soziale Marktwirtschaft sichert unseren Wohlstand. Egal ob Bankenkrise oder Corona-Krise: Seit Jahrzehnten geht es dem Land insgesamt grundsätzlich finanziell gut. Auch das ist ein Grund für mich, dankbar zu sein. Denn ich weiß, dass meine Kinder und ich immer ein Dach überm Kopf haben werden. Auch wenn ich meinen Job verlieren sollte, muss ich nicht befürchten, auf der Straße zu landen. Der Staat wird meine Miete und Krankenversicherung übernehmen und mir sogar noch Geld zum Leben geben.

Arbeitslosengeld und Hartz IV sind wichtige Errungenschaften. Und doch gibt es auch hier Verbesserungsmöglichkeiten. Denn die Pandemie hat gezeigt, dass dieses Geld gerade so zum Überleben reicht. Alleine schon weil Lebensmittel immer teurer werden und der Preisanstieg vor allem die Ärmsten trifft, fordert der Paritätische Gesamtverband, dass der Hartz-IV-Regelsatz für eine alleinstehende Person von 449€ auf 600€ erhöht wird.

Kein System ist perfekt

Kurzum, Deutschland ist nicht das Paradies, aber in vielen Bereichen doch ein Land, in dem es sich gut leben lässt. Natürlich habe ich als kritische Journalistin die Pflicht, Systeme zu hinterfragen, Missstände aufzudecken. Doch gerade jetzt in der Schwangerschaft habe ich mir fest vorgenommen, nicht nur auf das Negative zu schauen, sondern öfter auf das Gute zu achten: Ich kann mein Auto einfach an der Straße abstellen, ohne mir Sorgen machen zu müssen, ob es am nächsten Tag noch steht. Wenn ich den Wasserhahn aufdrehe, habe ich die Gewissheit, dass sauberes Wasser rauskommt. Als Journalistin kann ich offen Politikerinnen und Politiker kritisieren, ohne dass ich Konsequenzen fürchten muss.

All die positiven Seiten Deutschlands, sind im Vergleich zu vielen anderen Ländern der Welt nicht selbstverständlich. Dass meine Kinder in so einem tollen Land aufwachsen können, weiß ich jeden Tag mehr zu schätzen.

Was denken Sie? Was läuft in Deutschland gut? Und wo könnten Steuergelder besser eingesetzt werden? Lassen Sie uns darüber diskutieren! In den Kommentaren auf WDR.de oder auf Social Media.

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Kommentare zum Thema

  • Hannelotte 28.05.2022, 18:53 Uhr

    Dieses Land wird an den immer wwiter zunehmenden Rund-Um-Voll- Versorgungen durch immer weitere überzogene Erwartungen gegen die Wand fahren. Die Soziale-Hängematte hängt durch und wird reissen!

  • malwasgutes 28.05.2022, 17:19 Uhr

    ach wie ist das schön, statt meckern mal einfach feststellen, dass es bei uns trotz allem, doch ganz schön ist. Nur bei einem sind wir extrem schlecht, bei Geburt und Nachsorge, Kreissäle schließen, es gibt keine Hebammen etc., wer Pech hat, legt eine Geburt an der Bushaltestelle, auf dem Parkplatz oder im Taxi hin. Und muss sich nach der Geburt ohne Hebamme auf krude Ratgeber oder sonstige Besserwisser in dieser sensiblen Zeit wo die Säuglinge so empfindlich sind, verlassen.

  • Maria Evers 28.05.2022, 15:38 Uhr

    Wer hat das alles Erarbeitet ? Der mehrheitlich fleißigen deutschen Bevölkerung gebührt ein aufrichtiges Dankeschön, weiter so.