Stadtforscher: "Wir räumen den Autos immer noch viel zu viel Platz ein" 

Stand: 22.08.2023, 10:34 Uhr

Zu viel Beton, kaum Schatten, keine Freiflächen: An heißen Sommertagen werden viele Städte zu echten Hotspots. Wie lassen sich diese Hitzeinseln abkühlen? Das rät ein Experte für Hitzeschutz.

Die Folgen des Klimawandels sind schon heute deutlich messbar. Hitzewellen häufen sich und treffen vor allem dicht bebaute Städte, von denen es in NRW besonders viele gibt. Was ist in der Stadtplanung falsch gelaufen und wie können Kommunen künftig gegensteuern? Fragen an Jens Hasse vom Deutschen Institut für Urbanistik in Berlin. Der Ingenieur berät Kommunen beim Hitzeschutz.

WDR: Sind die städtischen Hitzefallen von heute die Baufehler von früher?

Jens Hasse: Da muss man differenzieren: Es gibt Quartiere, die einfach anfällig sind für Aufheizung, beispielsweise solche mit Wohnbebauung aus den 60er und 70er Jahren, die einfach nicht hitzerobust sind, weil sie zum Beispiel dünnere Wände und schlechtere Fenster haben.

Es gibt aber auch echte Planungsfehler: Breite Straßenfluchten, hoch verdichtet und versiegelt, weil überall Auto-zentriert geplant und gebaut wurde, Parkplätze – ebenerdig, statt gestapelt, asphaltiert oder gepflastert. Insbesondere diese versiegelten Verkehrsflächen sind anfällig fürs Aufheizen.

Jens Hasse vom Deutschen Institut für Urbanistik | Bildquelle: Deutsches Institut für Urbanistik

WDR: Bringt eigentlich jede Zeit ihre Baufehler mit sich – also zum Beispiel Trends wie Glasfassaden, die sich heute als echter Hitzetreiber entpuppen?

Hasse: In den 50ern, 60ern oder 70ern musste schnell gebaut werden, und die Standards waren noch nicht so hoch. In den 80ern und 90er-Jahren wurden gern große Fensterflächen und Glasfassaden Richtung Süden gebaut, um Licht und Sonnenwärme in Gebäude zu lassen. Die großen Eingangshallen, die dahinter liegen, heizen sich stark auf, weil sie keine Verschattungsmöglichkeiten haben, höchstens Belüftungsklappen, durch die man die stark aufgeheizte Luft raus lassen kann.

Große Glasfassaden werden wieder weniger. Heute gibt es zwar Glas, das die langwellige Wärmestrahlung der Sonne wieder zurückwerfen kann. Diese wird beispielsweise zu etwa 50 Prozent zurückgeworfen – mit dem Nachteil, dass es den meist öffentlichen Raum vor dem Gebäude aufheizt.

Diese Art der Glasfassade hat man zum Beispiel bei der Sanierung des Hauptbahnhofs in Münster gewählt. Das hat dort zwar nur begrenzte negative Auswirkungen auf den öffentlichen Raum, weil der Bahnhofsvorplatz davor recht gut durchlüftet ist. Diese klimatischen Zusammenhänge zwischen Gebäuden und ihrer Umgebung müssen Bauherren und Stadtplaner heute aber viel stärker beachten, um Aufheizungen zu vermeiden.

Glasfassade des Hauptbahnhofs in Münster | Bildquelle: WDR / Rüdiger Wölk

WDR: Wann sind wir klimatechnisch beim Bauen in die falsche Richtung abgebogen?

Hasse: Die Beschäftigung mit stadtklimatischen Fragen gibt es in Deutschland schon sehr lange – letztlich sogar seit den Zeiten der großen Baubooms der Industrialisierung. Die großen Städte sind bei uns zwischen 1870 und 1900 extrem stark gewachsen, und auch da wurde schon über das Durchlüften als Gesundheitsvorsorge nachgedacht.

Zum Beispiel mit den grünen Fingern in Köln oder auch im Ruhrgebiet – also freigehaltene Flächen, über die nachts Frischluft in die Städte strömen kann. Das Wissen über klima- und zukunftsgerechtes Bauen ist da, aber auch heute fehlt der Lokalpolitik, den Bauherren und Projektentwicklern häufig noch die Überzeugung und der Druck der Öffentlichkeit und des Gesetzgebers, systematisch Klimavorsorge zu betreiben.

Außerdem ist Wohnraum knapp und die Preise sind hoch. Und so gibt es sehr viel Geld zu verdienen, wenn man neue Wohnviertel oder Einkaufszentren baut, statt grüne, schattige und auch deshalb attraktive Innenstädte.

Innerer Grüngürtel in Köln | Bildquelle: euroluftbild.de / Grahn/picture alliance / ZB/euroluftbi

WDR: Entscheiden in Deutschland die Falschen, wie gebaut wird?

Hasse: Nein, das kann man so nicht sagen. Es geht darum, dass die Prioritäten heute anders gesetzt werden müssen. Wir müssen ja bezahlbaren Wohnraum schaffen und den Altbestand regelmäßig sanieren, aber wir sagen auch, er muss umweltgerecht, klimagerecht und gesundheitsgerecht sein.

Kommunen kommt auch hier eine Vorbildrolle zu. Wenn eine Kommune nicht sagt, was sie will, welche Ziele sie in ihrer Stadtentwicklung verfolgt, wird sie das auch von Investoren nie bekommen.

Ein gutes Beispiel, wie das gehen kann, ist die "Grüne Mitte" in Essen. Dort hat man erst die Grün- und Wasserflächen bauen lassen, damit man sieht, wie es aussehen soll, und plötzlich standen die Investoren Schlange. Die wollten alle ihre Wohnprojekte in das schöne Setting hinsetzen.

Wasser lockte Investoren: Wohnviertel Grüne Mitte Essen | Bildquelle: picture alliance / Rupert Oberhäuser

WDR: Was sind heute die größten Baufehler?

Hasse: Sehr klar ist heute, dass auch die Ver- und Entsorgungsleitungen im Boden besser auf den zukünftig erforderlichen Baum- und Grünbestand abgestimmt werden müssen, um Klimaanpassung systematisch umsetzen zu können. Aus Sicht der aktuellen Stadtforschung räumen wir den Autos immer noch viel zu viel Platz ein. Wir bauen immer noch viel zu breite Straßen oder bringen zu wenig Grün in diese Straßen ein. Wir müssen mehr in multifunktionalen Flächen denken.

Das ist wichtig für die Starkregenvorsorge, die Versickerung von Regenwasser, aber auch, um mehr Platz für Fuß- und Radverkehr und für Aufenthaltsorte schaffen zu können. Einstöckige Supermärkte, die auf Brachflächen gesetzt werden, mit Tausenden von Quadratmetern an Parkplätzen außen herum – das sind Fehler der Stadtentwicklung, die man heute nicht mehr machen darf. Denn dort wäre so viel Fläche und Raum für mehr und besseres Grün und Platz für Menschen, den man nutzen muss.

Gleiches gilt für die Parkplätze im öffentlichen Straßenraum: Wenn wir in Wohnvierteln Quartiers- oder Nachbarschaftsgaragen bauen, also die Autos von den Straßen holen, entsteht dort viel Raum für Neues, für Lebensqualität und für die Klimavorsorge. In der Dortmunder Nordstadt gibt es zum Beispiel eine Bebauung mit einem innenliegenden Garten und darunter sind die Parkplätze.

WDR: Wie sieht denn eine Architektur aus, die vor Hitze schützt?

Hasse: Helle Fassaden und Dach- und Fassadenbegrünungen helfen mit, damit sich Fassaden möglichst wenig aufheizen. In den Straßen stehen ausreichend viele Bäume, mit großen Kronen, die Schatten werfen und kühlen. Straßen haben Grünflächen, die in Mulden Regenwasser auffangen und versickern lassen. Die Gebäude haben zur Südseite außen liegende Verschattungselemente wie Fensterläden. Nur so bleibt die Wärme draußen. Auch Bürogebäude kann man heute so bauen und belüften, dass sie keine Klimaanlage mehr brauchen.

Acht Kilometer Heinbuchenhecke: Grünfassade in Düsseldorf | Bildquelle: Pressefoto_korb

WDR: Im Neubau ist das alles ganz gut umsetzbar. Aber was ist mit dem Altbestand? Man kann ja schlecht Häuser abreißen, um Frischluftschneisen oder Parks anzulegen?

Hasse: Beim Altbestand kommt es auch darauf an, dass geeignete Klima- und Hitzeschutzmaßnahmen nachgerüstet werden. Außerdem ist es wichtig, wie sich die Umgebung bei hohen Temperaturen aufheizt und wie sich die Menschen, die dort wohnen, verhalten. Sie müssen im eigenen Interesse bei der Hitze- und Gesundheitsvorsorge mithelfen und dürfen die Hitze nicht reinlassen. Die Fenster müssen von frühmorgens bis in die Nacht geschlossen bleiben.

Verschattungselemente im öffentlichen Raum oder in privaten Innenhöfen können auch große Sonnensegel sein, die man über die Straße oder Plätze spannt. Das hat die Stadt Wien bereits vor einigen Jahren im öffentlichen Bereich ausprobiert. Es gibt heute tolle Werkstoffe, die leicht und robust sind, die Licht durchlassen und gleichzeitig verschatten.

Sonnensegel über einer Fußgängerzone in Wien | Bildquelle: PID/Christian Fürthner

WDR: Dennoch eine gigantische Aufgabe. Wo stehen wir da jetzt?

Hasse: Ich weiß nicht, ob wir auf einer Skala von 1 bis 10 bei zwei oder drei stehen, oder doch schon bei vier. Wichtig ist, dass man jede Gelegenheit nutzt – egal ob Neubau oder Stadtteilerneuerung. Die Kommunen, aber auch Investoren sollten bereits heute die Prioritäten anders setzen. Dann wären wir auf einem guten Weg.

Das Interview führte Katja Goebel.