Am Gymnasium Plochingen (Kreis Esslingen) können sich Schüler und Schülerinnen einer siebten Klasse von diesem Montag (08.04.24) an zwei Mal in der Woche aussuchen, ob sie um 7.50 Uhr oder um 9.40 Uhr mit dem Unterricht starten. Das Gleitzeit-Modell soll nach Angaben der Schule zunächst einmal sechs Wochen lang erprobt werden. Das Ziel: Schüler sollen dann lernen, wenn sie auch wirklich aufnahmebereit sind.
Was sagt die Wissenschaft zum Schlafrhythmus von Jugendlichen? Gibt es auch andere Modellprojekte? Und was spricht gegen eine flexiblen Schulbeginn? Fragen und Antworten.
Wie kam es zu dem Projekt in Plochingen?
Die Idee dazu entstand in einer siebten Klasse im Deutschunterricht von Lehrer Till Richter. Die Klasse hatte gemeinsam überlegt, was an ihrer Schule verbessert werden könnte. Dabei sei der frühe Unterrichtsbeginn einer der wichtigsten Kritikpunkte gewesen, sagt Richter im WDR-Interview.
In der Diskussion sei die Idee für ein Gleitzeit-Modell entstanden. Anschließend überzeugten die Schüler den Schulleiter und den Elternbeirat von dem Projekt. Nach dem Abschluss der Testphase sollen alle Beteiligten gemeinsam besprechen, wie es gelaufen ist und ob die Gleitzeit vielleicht zu einer Dauereinrichtung werden kann.
Wie funktioniert es ganz praktisch?
Jeweils dienstags und donnerstags stehen in den ersten beiden Schulstunden der Klasse die Fächer Englisch und Deutsch auf dem Stundenplan. An beiden Tagen werden den Schülern Aufgaben gestellt. Wer möchte, erscheint wie gewohnt zum Unterricht und erledigt die Aufgaben mit Unterstützung der Lehrer. "Sie können sich aber auch entscheiden, die Aufgaben wann anders zu erledigen und an dem Tag auszuschlafen", sagt Richter.
Warum ist ein späterer Schulbeginn für Jugendliche von Vorteil?
Dass Jugendliche in der Pubertät mehr Schlaf brauchen als Erwachsene, ist wissenschaftlich erwiesen. Der jugendliche Organismus brauche diese Ruhephasen für die Entwicklung des Gehirns, erklärt Schlafforscher Michael Feld dem WDR am Montag. "Dabei ist der Schlaf am Morgen besonders wichtig", betont der Mediziner aus Frechen. Dieser lasse sich nicht einfach durch eine frühere Schlafenszeit ersetzen.
Für Jugendliche seien acht bis zehn Stunden Schlaf pro Nacht ideal, meint auch Alfred Wiater von der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin. Tatsächlich gingen sie aber meist erst gegen elf oder halb zwölf ins Bett und würden schon gegen 6.30 Uhr wieder aus dem Tiefschlaf gerissen.
Für viele Jugendliche sei dieser Rhythmus nicht gesund, sagte Wiater im SWR. Wer müde im Unterricht sitze, sei unkonzentriert, mache Fehler und leiste nicht das, was er oder sie eigentlich leisten könnte. Er plädiert deshalb für einen Unterrichtsbeginn um 9 Uhr - nicht früher.
Gibt es noch andere Gleitzeit-Modelle an Schulen?
Ja, es gibt sogar ein Beispiel in Nordrhein-Westfalen. An einem Alsdorfer Gymnasium dürfen die Schüler und Schülerinnen der Oberstufe bereits seit 2016 selbst entscheiden, ob sie mit dem Unterricht zur ersten oder erst zur zweiten Stunde starten. Möglich wird das durch eine Besonderheit der Schule.
Neben herkömmlichen Unterrichtsstunden gibt es auch dort auch Zeiten, in denen die Schüler sich den Stoff frei erarbeiten sollen. Wann sie das machen, ist nebensächlich - sie müssen ihr Pensum nur zuverlässig erfüllen. Das heißt: Die verpasste Zeit muss nachgeholt werden - nur eben später.
Was sagen die Betroffenen?
Für Rektor Martin Wüller hat sich das System mehr als bewährt. "Ursprünglich war es nur als als Projekt angekündigt", sagte er am Montag im WDR, "aber wir wussten schon: Das bleibt. Denn warum sollen wir was Gutes wieder in die Tonne hauen". Auch Schüler lobten gegenüber dem WDR die Gleitzeit. Ausgenutzt werden könne das System übrigens nicht: "Spätestens nach einer Woche fällt das den Lehrern schon auf, wenn man nicht kommt." In solchen Fällen könne dem Schüler oder der Schülerin das Recht auf Gleitzeit auch wieder entzogen werden.
Warum sind nicht mehr NRW-Schulen dabei?
Im Augenblick fehlt für eine freie Gestaltung der Unterrichtszeit schlicht der rechtliche Rahmen. In der "Bereinigten Amtlichen Sammlung der Schulvorschriften NRW" heißt es klipp und klar: "Der Unterricht beginnt in der Zeit zwischen 7.30 Uhr und 8.30 Uhr."
Zwar haben CDU und Grüne in ihrem Koalitionsvertrag angekündigt, "die Möglichkeit einzuräumen, durch Beschluss der Schulkonferenz den Schulbeginn auf bis zu 9 Uhr festzulegen". Umgesetzt wurde der Beschluss allerdings noch nicht. Aus dem Schulministerium hieß es auf WDR-Anfrage, es gebe keine neuen Planungen, Gleitzeit einzuführen. Weitere Auskünfte dazu seien heute nicht möglich.
Was spricht gegen einen flexiblen Schulbeginn?
Vor allem müssen viele organisatorische Fragen geklärt werden. Gerade Schulen im ländlichen Raum müssten ihre Anfangszeiten mit benachbarten Schulen und den regionalen Verkehrsbetrieben absprechen. Denn diese müssen dafür sorgen, dass die Abfahrtzeiten der Schulbusse auf den flexiblen Unterrichtsbeginn abgestimmt werden - keine ganz einfache Aufgabe. Auch die Neuorganisation der Lehrpläne dürfte an einigen Schulen problematisch werden: vor allem dort, wo ohnehin Lehrkräfte fehlen.
Quellen
- Interviews bei WDR2 vom Montag (08.04.2024)
- Bereinigte Amtliche Sammlung der Schulvorschriften NRW
- Koalitionsvertrag für NRW
- Biorhythmus von Jugendlichen spricht gegen frühen Unterrichtsbeginn (SWR)