Streitfall Gendern: Was ist eigentlich das Problem?

Stand: 29.07.2022, 12:46 Uhr

Der Streit um geschlechtergerechte Sprache hat die Justiz erreicht: Heute wies das Landgericht Ingolstadt die Klage eines Angestellten ab, der sich durch das firmeninterne Gendern bei Audi belästigt fühlte.

Audi hatte im vergangenen Jahr einen neuen Unternehmensleitfaden zum Gendern durchgesetzt: Bei der internen und externen Kommunikation sollten stets geschlechtsneutrale Formulierungen verwendet werden: zum Beispiel "Mitarbeiter_innen" statt "Mitarbeiter". Dies sei ein Zeichen für Gleichberechtigung und solle die Vielfalt der Geschlechter besser abbilden, so der Autokonzern.

Der Kläger, ein Angestellter der Konzernmutter VW, der mit Audi-Kollegen zusammenarbeitet, fühlte sich durch die neue Anrede in seinen Persönlichkeitsrechten verletzt. Oder wie sein Anwalt zusammenfasste: Sein Mandant wolle "in Ruhe gelassen werden mit dieser Gendersprache". Das Landgericht Ingolstadt hatte sich allerdings gar nicht damit beschäftigt, ob Gendern in Unternehmen zulässig ist: Sie wies die Klage zurück, weil der Kläger als VW-Mitarbeiter gar nicht zur aktiven Nutzung des Gender-Leitfadens von Audi verpflichtet sei.

Der Riss geht durch alle vermeintlichen Lager

Es dürfte nicht das letzte Mal gewesen sein, dass der Streit ums Gendern vor Gericht ausgetragen wird. Selten hat eine gesellschaftliche Debatte so emotionale Reaktionen hervorgerufen wie der Streit um geschlechtergerechte Sprache. Und anders als oft dargestellt wird, ist Gendern auch kein Ausdruck eines Kulturkampfs zwischen links und rechts oder progressiv und konservativ - und offenbar auch nicht zwischen Alt und Jung.

So lehnt mehr als die Hälfte junger Menschen zwischen 14 und 35 Jahren Gendern einer aktuellen Studie zufolge ab. Viele fühlten sich von der Debatte "genervt", manche sogar provoziert, erklärte Studienleiterin Judith Barbolini zu der Untersuchung des Kölner Rheingold-Instituts. Allerdings gebe es auch viel Zuspruch: Vor allem junge Frauen sehen demnach im Gendern ein wichtiges Signal auf dem Weg zu mehr Gleichberechtigung und einem modernen Geschlechterverständnis.

Und auch das Umfeld spiele eine Rolle: "In einem offiziellen Raum, etwa im Job-Kontext, gehört Gendern mittlerweile fast zum guten Ton", erklärte Barbolini. "Aber es kann als sehr irritierend empfunden werden, wenn durchgängiges Gendern zum Beispiel im privaten Umfeld offensiv eingefordert wird."

Unternehmen setzen schneller auf Gendern als erwartet

Letzteres dürfte außerhalb eines begrenzten Milieus aktuell noch eher eine Ausnahme sein. In der modernen Unternehmenskultur setzt sich Gendern allerdings schneller durch als erwartet. "Einige Firmen haben Interesse daran, einen vielfältigeren Bewerber*innen-Pool anzusprechen, und fokussieren sich daher auf gendergerechte Sprache im Recruiting", sagt Julia Schwarz von "Fairlanguage".

Ihre Agentur berät Unternehmen wie Otto, Zalando oder Audi zum Beispiel dabei, wie sie geschlechtergerechte Sprache in ihr Marketing integrieren können. Andere wollten einfach Diskriminierung am Arbeitsplatz abbauen und bemühten sich daher um eine neue firmeninterne Kommunikation.

Ursprung in der feministischen Linguistik

Aber können neue Sprachregeln tatsächlich zu einer gerechteren Gesellschaft beitragen? Seinen Ursprung hat das Gendern in der feministischen Linguistik: Sprache ist demnach kein bloßes Kommunikationsmittel, das auf neutrale Weise Informationen transportiert. Über Sprache werde Wirklichkeit erst geschaffen. Das generische Maskulinum, also die gewohnheitsmäßige Ansprache von Gruppen in der Männlichkeitsform, führe dazu, dass weibliche und nicht-binäre Personen sprachlich ausgegrenzt werden - eine Form der Diskriminierung, die sich auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen fortsetzt.

Problematische Umsetzung

Dass die Gleichberechtigung der Geschlechter grundsätzlich etwas Gutes ist - darauf sollte man sich in einer demokratischen und pluralistischen Gesellschaft weitgehend einigen können. Das Problem liegt eher in der Umsetzung: Weil eine gewachsene Sprache wie Deutsch nur sehr schwer an die neuen gesellschaftlichen Realitäten angepasst werden kann, haben sich viele konkurrierende Hilfsmittel etabliert: Gender-Gap, Gender-Sternchen, Gender-Doppelpunkt - um nur einige zu nennen. Die Vielzahl der Regeln schreckt ab - auch weil die Ergebnisse in sprachlicher Hinsicht alles andere als elegant sind.

Das sieht auch der Rat für deutsche Rechtschreibung so, der bisher keine Empfehlung für die Umsetzung einer geschlechtergerechten Sprache aussprechen will. Insgesamt sei das eine gesellschaftliche und gesellschaftspolitische Aufgabe, die nicht allein mit der Änderung orthografischer Regeln gelöst werden kann. "Ich rate zur Gelassenheit", sagte Ratsvorsitzender Josef Lange im Deutschlandfunk, "wir müssen zunächst mal schauen, wie die gesprochene und dann die geschriebene Sprache sich entwickelt".

Duden schafft das generische Maskulinum ab

Möglicherweise wird es also noch einige Zeit brauchen, bis sich Gendern tatsächlich im Alltag etabliert hat - zumindest in der Schriftsprache. Dass sich etwas bewegt, das zeigt aber eine Entscheidung der Duden-Redaktion: Vor einiger Zeit hat der Duden in seinem Online-Wörterbuch das generische Maskulinum abgeschafft. Wenn dort von "den Lesern" die Rede ist, sind nur noch Männer gemeint. Sind auch Frauen angesprochen, werden sie explizit "Leserinnen" genannt.

Über dieses Thema berichten wir auch am Freitag ab 18.45 Uhr in der "Aktuellen Stunde" im WDR-Fernsehen.